Es ist wichtig, die Balance zu halten. Zum Beispiel, wenn man einen Handstand macht, oder einen auf dem Kopf. Oder dann, wenn man bald wieder mit einem Glacé in der einen und Pommes-Frites in der anderen Hand in der Badi zwischen den vielen bunten Handtüchern, den Bienli und Bällen ausweichend, das eigene Plätzli sucht.
Saiten arbeitet auch regelmässig an der Balance. An der inneren, wenn die Kafimaschine schimmelt, man für die eigenen Texte nicht nur mit Lob überschüttet wird, Expert:innen Schreckliches berichten oder weil die Kürzel dag und daf verdammt schwer auseinanderzuhalten sind (in Zukunft wird aus daf daher fri, aber dies nur am Rande).
Wir arbeiten aber auch stets an der Balance im Heft. Im Hinblick auf den 14. Juni haben wir uns unter anderem mit der Gewalt an Frauen befasst. Das hat bereits beim Schreiben schon gehörig am Zen geschraubt. Nicht, weil mir die Gewalt an Frauen neu, ich mir der überquellenden Misogynie im Internet nicht bewusst oder der Allgegenwärtigkeit des Patriarchats nicht gewahr wäre. Sondern weil es erschütternd ist, wie sich eine ganze Gesellschaft eines Problems zwar bewusst sein kann und sich doch, ohne mit der Wimper zu zucken, damit abfindet. In der Schweiz werden mehr Frauen getötet als Männer – von Männern. In St.Gallen und in Appenzell Ausserrhoden sind die Vergewaltigungszahlen gestiegen. Wir fragen nach den Ursachen und nach Massnahmen zur Prävention. Ausserdem haben wir mit zwei Kollektiven gesprochen, die sich für Gleichstellung einsetzen: Das eine ist ein queerfeministisches Kunstkollektiv, das seine Aktionen auch als politischen Protest versteht, das andere ein Podcast, der erfolgreichen Frauen mehr Sichtbarkeit und anderen Frauen Vorbilder verschaffen will.
Apropos Protest, den braucht es nach wie vor dringend! Vielleicht können wir mit diesem Heft auch bisher unentschlossene Leser:innen für den feministischen Streik am 14. Juni mobilisieren. Übrigens haben wir im Sinne des 14. Juni für diesen Schwerpunkt Wort und Bild bewusst nicht-cis-Männern und Frauen überlassen.
Im Kulturteil findet sich zudem ein Text über die Ausstellung im wiedereröffneten Fotomuseum Winterthur, die thematisch zu unserem Schwerpunkt passt. Inhaltlich ähnlich unangenehm die Geschichte von Hans Kläui und Mario Karrer, nachzulesen im fünften Teil unserer Serie «Die Ostschweiz im Dritten Reich».
Aber eben, wir suchen und finden ja stets die Balance. So geht es im Redeplatz mit Céline Fuchs von BandXOst um Nachwuchsmusiker:innen. Auch im Kulturteil geht es emotional stabil bis hoffnungsvoll weiter mit den St.Galler Festspielen, Texten über Olga Diener und Felix Lehner und der neusten Ausgabe von «Gutes Bauen» – Corinne Riedener schreibt dort über Wartehäuschen. Und was sorgt für mehr Ruhe und Zen, als auf den Bus zu warten?
Daria Frick
Der Inhalt:
Positionen
«Die Flügel, die wir unseren Acts geben können, sind viel grösser geworden»
Redeplatz mit Céline Fuchs
Saitenlinie: Die Glorreichen Sieben
von Nathalie Grand
24/7 Traumacore: Quetiapin killed the manic pixie dream girl
von Mia Nägeli
Stimmrecht: Lektionen aus der Physiotherapie
von Liliia Matviiv
Perspektiven
Zum 14.Juni
Gewalt an Frauen: perpetuelles Patriarchat: Warum nimmt die Gewalt an Frauen schweizweit tendenziel eher zu? Und was tut die Ostschweiz gegen diese Entwicklungen? von Daria Frick
Helvetia spricht und wird gehört: Männer, die auf Bühnen in Mikrofone reden, gibt es viele. Ein Ostschweizer Podcast macht inspirierende Frauengeschichten hörbar. von Andi Giger
«Das Wort Vulva stösst Leute vor den Kopf»: Am feministischen Streik fallen sie durch ihr Markenzeichen, den Vulvadrachen auf. Welche Ziele das Kunstkollektiv hinter dem bunten Fabelwesen verfolgt, erklären Taz und Ginger im Gespräch. von Daria Frick

Bild: Zoé Aubry

Illustration: Maj Lisa Dörig
Flaschenpost aus Südkorea: Wie im Geheimen Grossartiges entsteht. von Karin Karinna Bühler
Die Ostschweiz im Dritten Reich (V): Zwei glühende Antisemiten und Frontisten
Der Romanist und spätere Lokalhistoriker Hans Kläui und der Altstoffhändler Mario Karrer gehörten zu den prominentesten St.Galler Nazifreunden. von Richard Butz

Mario Karrer (vorne links im dunklen Hemd, in die Kamera blickend) bei einem Aufmarsch der Nationalen Front am 16. Juni 1935 in Grabs. (Bild: ETH-Archiv für Zeitgeschichte)
Kultur
Am richtigen Ort
Die St.Galler Festspiele feiern ihr 20. Jahr, diesmal wieder auf ihrem angestammten Platz. Ein Rück- und Ausblick. von Peter Surber

Die Vergessene und Ungehörte: Mehr als 60 Jahre nach ihrem Tod wird die St.Galler Komponistin Olga Diener wiederentdeckt. von Philipp Bürkler
Kunstkosmos im Sittertal: Felix Lehner erhält den renommierten Prix Meret Oppenheim. Das Wirken des ausgezeichneten St.Galler Kunstgiessers reicht weit über die Landesgrenzen hinaus. von Kristin Schmidt
Über Raum und Ziet und menschliche Grenzen hinweg: Künstler Thomas Stricker ist aus Düsseldorf für kurze Zeit in seine Heimat St.Gallen zurückgekehrt, um in der Kunstgiesserei eine grosse Skulptur anzufertigen. von Roman Hertler
Weiter scrollen: Die Ausstellung «The Lure of the Image» im neueröffneten Fotomuseum Winterthur verführt – und löst Unbehagen aus. von Vera Zatti
Eine Band wie ein Fiebertraum: Ein Film zeichnet das so kurze wie explosive Leben der Post-Punk-Gruppe The Birthday Party um Nick Cave nach. von David Gadze
Es büchert im Saiten-Land: Der Juni steht ganz im Zeichen der Bücher: In Appenzell, Arbon, Winterthur und Schaan finden Literaturfestivals statt. von der Saiten-Redaktion
Parcours: Heavy Psych Sounds Fest, Rock am Weiher, neue EP von Claude Bühler, Ausstellung von Paul Wirz, Parkplatzfest, Wegwarte 001
Plattentipps: Analog im April. von Lidija Dragojević, Tobias Imbach und Philipp Buob
Gutes Bauen Ostschweiz (XXVIII): Verspätung? Egal! von Corinne Riedener
Boulevard: Als hätten sies geahnt. von Josip Gossip
Abgesang
Comic von Julia Kubik: 21.Juni