Wo immer man in der Kunstbubble hinhört, seit Jahren ist Teilhabe und Partizipation das goldene Kalb, um das alle herumtanzen. Einbinden müsse man die Leute, Dinge erklären und mitmachen lassen. Bisweilen stecken dahinter verkopfte Konzepte, die keiner mehr versteht. Vom hehren Anspruch bleibt dann nicht mehr viel; die Teilhabe steckt in der Sackgasse.
Man kann es aber auch so machen wie die Stiftung Wilhelm Lehmann in der Kobesenmühle in Niederhelfenschwil. Sie fabulieren nicht gross, sondern sie machen einfach. Bei der neuen Ausstellung von Dominique Kähler Schweizer, besser bekannt als Madame Tricot, haben Frauengemeinschaften aus Niederhelfenschwil, Zuckenriet und Lenggenwil intensiv mitgewirkt. Man kann Partizipation also auch betreiben, ohne ein allzu grosses Tamtam daraus zu machen.
Ein so bunt schillerndes Buffett sieht man selten
Vielleicht liegt das in dem konkreten Fall aber auch daran, dass die Kunst von Madame Tricot besonders anschlussfähig ist. Sie strickt. Nicht irgendwas, sondern Lebensmittel: Torten, Muffins, Früchteplatten, Käse, Hummer und ganze Metzgerei-Auslagen. Die Damen aus den Dörfern rund um Niederhelfenschwil haben dieses Buffett mit einer besonderen Zutat ergänzt: Pilzen.
Sie spriessen sehr bunt im zauberhaften Garten der Kobesenmühle. «Wir werden im Verlauf der nächsten Monate sehen, ob der Garten und die Natur diesen etwas entgegensetzen kann», hatte Olivier Zobrist aus dem Stiftungsrat der Wilhelm-Lehmann-Stiftung an der Vernissage dazu gesagt.

Ein Buffett für Schlemmer (Bild: Michael Lünstroth)
Dominique Kähler Schweizer ist in Paris im Quartier Montmartre in einer Designer-Familie aufgewachsen. Während sie Medizin studierte, besuchte sie parallel dazu die Ecole du Louvre, um Kunstgeschichte zu lernen. Im Alter von sechs Jahren fing Kähler Schweizer an zu stricken. Sie hat sich alles selbst beigebracht und nie wieder mit dem Handwerk aufgehört.
Man wird hungrig beim Gang durch die Ausstellung
Wohl auch, weil es für sie eine beruhigende und ausgleichende Wirkung zu ihrem Hauptberuf als Fachärztin für Psychiatrie und Naturheilkunde hatte. «Ich habe einfach grosse Freude daran, immer wieder neue Formen und Möglichkeiten zu entdecken, ich probiere gerne aus», sagte die Künstlerin im Gespräch mit dem Autor an der Vernissage. In den vergangenen Jahren hatte sie international verschiedene Einzelausstellungen sowie Ausstellungensbeteiligungen. Zum Beispiel im Landesmuseum Zürich, im Textilmuseum St.Gallen oder im Gardiner Museum Toronto. Die Künstlerin hat zwei Töchter und zwei Enkelkinder und lebt heute in Wil.

Pilze im Garten (Bild: Michael Lünstroth)
Während im Garten die Pilze spriessen, zeigt Madame Tricot in der Kobesenmühle einige ihrer Strick-Köstlichkeiten. Mehrstöckige und bunte Torten, Muffins, Donut, zünftige Vesperplatten mit Salami, Käse und einem Brotlaib. In den unteren Räumen wird es dann richtig üppig mit Buffets, die sich fast biegen vor den Delikatessen, die die Künstlerin in die Auslage stellt: ein leuchtend roter Hummer lässt seine Scheren über einen Teller hängen, ein Truthahn liegt saftig im Bräter, dazu Schinken, Käse und Salatvariationen.
Wie wirklichkeitsnah sie die Farbverläufe und Formen der Speisen mit Nadel und Faden hinbekommen hat, ist wirklich verblüffend. Alles sieht so fein aus, dass man den eigenen Magen beim Betrachten der Werke grummeln hören kann.
Wie die Künstlerin die Kobesenmühke entdeckte
Mit der Kobesenmühle verbindet die Künstlerin, die der Liebe wegen 1974 in die Schweiz kam, eine sehr besondere Geschichte. Anlässlich ihrer Hochzeit hat sie einer ihrer Trauzeugen mit einem Besuch der Kobesenmühle und einer Gartenbesichtigung mit Verena Lehmann, der Tochter von Wilhelm Lehmann überrascht.
«Sie war sofort von diesem Ort der Ruhe und Kunst fasziniert und stattete in der Folge Vreni Lehmann viele Besuche ab», erzählte Olivier Zobrist bei der Eröffnung der Ausstellung. Dieser Verbindung haben die Ausstellungsmacher den sogenannten Hochzeitsraum gewidmet, wo neben der Hochzeitstorte und Buffet auch ein gewobener Wandteppich von Vreni Lehmann zu sehen ist.

Buffett mit Hochzeitstorte (Bild: Michael Lünstroth)
Auch über diese persönliche Verbundenheit hinaus gibt es künstlerische Aspekte, die das Werk von Madame Tricot mit jenem von Wilhelm Lehmann verbinden, findet Olivier Zobrist. Der künstlerische Zugang über persönliche Intuition zum Beispiel. Oder auch die Sorge um die die Natur sei ein weiteres verbindendes Merkmal zwischen den beiden Künstler:innen. Deshalb wachsen auch keine putzigen Eierschwämmli oder Champignons im Garten während der Ausstellung, sondern giftig-orange neophytische Pilze.
Und: Für Wilhelm wie Madame Tricot sei die Kunst auch ein Mittel der Kommunikation, oder präziser: ein Instrument des Austauschs der Gedanken und Ideen mit anderen. «Es wäre sicher eine spannende Konversation entstanden, wenn die beiden sich begegnet wären», ist Zobrist überzeugt.
(Dieser Artikel erschien am 22. Mai 2025 auf Thurgau Kultur)
Madame Tricot – «Verbindungen»: bis 5. Oktober, Kobesenmühle, Niederhelfenschwil
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