, 16. Juli 2021
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Rastlos engagiert für eine fairere Welt

2018 legte die St.Galler Historikerin Marianne Jehle-Wildberger eine Biografie über Dora Rittmeyer-Iselin vor. Jetzt folgt ein Buch über Susanne Steiner-Rost. Auch sie war eine unendlich engagierte Frau, und auch sie hatte einen seelenverwandten Mann, mit dem sie eine partnerschaftliche Beziehung verband. Von Peter Müller

An einem Festakt im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen referierten im Juni drei St.Galler Politikerinnen: Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Regierungsrätin Laura Bucher und Stadtpräsidentin Maria Pappa. Susanne Steiner-Rost hätte sich ebenfalls für eine Politkarriere geeignet – wenn sie später geboren worden wäre.

Mit Jahrgang 1908 konnte sie sich nur für die Anliegen der Frauen engagieren – vielfach ehrenamtlich. Sie machte das mit Beharrlichkeit und Engagement, erzielte Erfolge, erlitt aber auch Niederlagen.

«Susanne Steiner-Rost gehörte zur kleinen Gruppe von Schweizer Frauen, die rund um den Ersten Weltkrieg geboren wurden, zumeist über universitäre Bildung verfügten (…) und sich von den späten zwanziger Jahren bis 1971, als das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, unermüdlich für die politischen und sozialen Rechte der Frauen einsetzten», schreibt Marianne Jehle-Wildberger in ihrer Biografie über diese ungewöhnliche Frau. «Sie waren es, diese vielleicht einige Hundert Frauen, die in Führungsstellen von Frauenorganisationen und von Sozialwerken und in anspruchsvollen Berufen die Knochenarbeit leisteten, die es brauchte, um die Männer und die vielfach zögernden Frauen von ihren Anliegen zu überzeugen.»

Das Reich Gottes auf Erden

Susanne Steiner-Rost, Tochter eines Grafikers und einer Hebamme, wuchs in einem stark religiös geprägten Umfeld in Zürich auf. Ihre eigentliche geistige Heimat fand sie später im religiösen Sozialismus. Das Reich Gottes, so dessen Grundgedanke, sollte möglichst schon auf dieser Erde ein stückweit realisiert werden – mit einem tätigen Engagement für gerechtere, sozialere und menschlichere Welt.

Susanne Rost als Oberin der Pflegerinnenschule. (Bild: pd)

Dass es hier allenthalben Handlungsbedarf gab, ob in der Gesetzgebung, in der Arbeitswelt oder in der Bildung, wusste sie auch aus ihrem eigenen Erleben. Sie hatte als promovierte Juristin Schwierigkeiten, ein Berufsleben aufzubauen, und ihr kranker Vater hatte im Alter mit einer schmalen Rente auszukommen. Und als sie 1945 heiratete, musste sie ihre Stelle als Leiterin der Schweizerischen Pflegeschule in Zürich nach fünf Jahren aufgeben. Eine verheiratete Oberin – das konnten sich ihre Vorgesetzten offenbar nicht vorstellen.

Einblick in viele Baustellen

So zog sie 1945 mit ihrem Mann Paul Steiner nach St.Gallen und gründete eine Familie. Bald kamen zwei Söhne auf die Welt. Was sie dann alles machte – die Biografie von Marianne Jehle-Wilderberger kann es nur in geraffter Form erzählen. Gelegentlich wirkt das etwas knapp, vor allem bei den juristischen Themen.

Und doch liest man diese Biographie mit Gewinn. Zum einen bietet sie ganz konkrete Einblicke in die vielen politischen und sozialen «Baustellen», die es in der Schweiz nach 1945 gab: Warum sind den Frauen so viele Berufe verwehrt? Warum gibt so viele pensionierte Pflegefachfrauen in prekären Verhältnissen? Warum gibt es im Lehrpersonal der Kantonsschule St.Gallen nur eine einzige Hauptlehrerin?

Marianne Jehle-Wildberger: Du bist wirklich souverän, Die religiös-soziale Anwältin Susanne Steiner-Rost (1908-1991). Theologischer Verlag Zürich und Verlagsgenossenschaft St.Gallen, 2021. 30.-

Fesselnd ist aber auch die Person. Susanne Steiner-Rost war eine Intellektuelle, hoch gebildet, vielseitig interessiert, blitzgescheit und weise. Juristin, SP-Mitglied, Feministin und feministische Theologin. Sie war charakterfest und pflichtbewusst, beharrte auf ihren Überzeugungen und konnte etwas missionarisch wirken. Umgekehrt hatte sie aber auch liebenswerte und mütterliche Züge. Ihr Auftreten war schlicht, aber elegant. Und fast ein ganzes Leben lang engagierte sie sich gegen Alkohol- und Tabakkonsum.

Als Feministin setzte sie sich für Rechtsgleichheit ein, für die Verbesserung der Lebensrealitäten und Lebenschancen von Frauen. So vertrat sie die Auffassung, dass sich Männer und Frauen in ihrem Wesen unterscheiden und beide Wichtiges in eine Beziehung einbringen. Ihre Beziehung soll partnerschaftlich sein, auf Augenhöhe. Besonders betont wurde von ihr die «Mütterlichkeit» – eine Gabe, die auch kinderlosen Frauen gegeben sei. Die Frauen seien verpflichtet, sie einzusetzen, zum Wohl der ganzen Gesellschaft.

Ein «Anwalt des kleines Mannes»

Der wohl wichtigste Mensch in ihrer Leben war ihr Mann Paul Steiner (1904-1979), Pfarrerssohn und ebenfalls Jurist, mit dem sie eine kongeniale, partnerschaftliche Beziehung verband. Paul Steiner entwickelte sich nach 1945 zu einem der bekanntesten und angesehensten SP-Politiker des Kantons St.Gallen. Ein unermüdlicher Schaffer, gründlich, brillant und temperamentvoll, engagierter Parlamentarier und «Anwalt des kleinen Mannes». Bei seinem ganzen Tun war er bestrebt, den sozialdemokratischen Idealen nachzuleben und sie gleichzeitig mit den christlichen Geboten der Nächstenliebe, der Brüderlichkeit und der Gerechtigkeit in Erfüllung zu bringen.

Sein Unfalltod auf einer Wanderung traf Susanne Steiner-Rost tief. Ausgerechnet auf einer Wanderung in der freien Natur. Sie und ihr Mann hatten früh erkannt, zu welchen ökologischen Problemen die Hochkonjunktur nach 1945 führen würde. In aller Schärfe hatten sie die herrschende Wachstumseuphorie kritisiert und sich selber bemüht, möglich ökologisch zu leben.

Susanne Steiner-Rost (stehend) mit ihrer betagten Mutter und ihrer Schwester Elisabeth. (Bild: pd)

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