, 10. Februar 2019
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Sexpositiv in den Frauenstreik

Femporn, ein Manifest gegen den Anti-Feminismus und Lust auf Frauenstreik – die Berthas* mobilisieren.

Bilder: Filmstills Mach mich fliegen

Metusa ist gefesselt und kann trotzdem fliegen. Isith küsst ihren Nacken, wickelt ihr das Hanfseil um den Hals, verknotet vorsichtig Metusas Arme hinter dem Rücken, widmet sich dann ihren Oberschenkeln. Knoten für Knoten.

Die beiden Frauen praktizieren Shibari, die erotische Fesselkunst Japans, in Europa auch «Japanese Bondage» genannt und nicht nur in der BDSM-Szene eine beliebte Technik. Es geht, anders als beim westlichen Bondage, nicht nur darum, das Gegenüber unbeweglich zu machen, die Liebe (oder wechselnde Gespielin) zu fesseln. Shibari hat auch viel mit Ästhetik zu tun, manche Fesselarten sind wie Kleidungsstücke, gleichen einem Body oder einem Netzoberteil.

Zu sehen sind Metusa und Isith im sechsminütigen Kurzfilm Mach mich fliegen der St.Galler Filmemacherin Morena Barra (mehr von ihr auf Seite 9 im Februarheft von Saiten).

Das Spiel mit dem Fesseln ist auch ein Spiel der Gegensätze: Es geht
 um Vertrauen und Hingabe, um Dominanz und Unterwerfung, um Kontrolle und Kontrollverlust, darum sich auszuliefern und trotzdem frei zu sein. Oder anders gesagt: selbst über die eigene Lust und die Art der Sexualität zu bestimmen, ohne sich von dem beeinflussen zu lassen, was andere für «richtig» oder «falsch»
halten. Selbstgewählte Unterwürfigkeit im erotischen Spiel ist leider immer noch verpönt, gerade bei manchen Feministinnen. Und das, was man im gemeinen Porno
 so sieht in diesem Genre, hat bedauerlicherweise wenig mit der Realität zu tun und
 ist zudem vom «Male Gaze», dem männlichen Blick, bestimmt.

Auch darum geht es am ersten
 von insgesamt vier Dienstagabenden im Palace, die im Februar und im März vom queerfeministischen Kollektiv «Die Leiden der jungen Bertha*» organisiert werden. Und darum, wie Femporn definiert werden kann. (Filmtipp: Alles von Erika Lust.) Morena Barra und Alice Weniger vom Bertha*-Kollektiv diskutieren über das Potenzial des Femporns, über die Kraft der Kamera und die Wut eines Orgasmus. Auch Morena Barras Film wird gezeigt. Das Palace verwandle sich für einen Abend wieder in ein «Schmuddelkino», sagen die Berthas* – «und dieser Begriff wird gleichzeitig neu besetzt.»

Der zweite Abend steht ganz im Zeichen des politischen Manifests. «Let’s take
up space!», heisst es in der Ankündigung. «Der Ruf nach Frauenrechten und Gleichberechtigung ist laut und spürbar. Gerade das Medium des Manifestes steht als politisches und künstlerisches Mittel dafür ein.» Passend zu diesem Thema zeigen die Berthas* die Videoarbeit WE TAKE UP SPACE_! der Künstlerin Alizé Rose-May Monod. In Form einer Neuinszenierung eines Videos der Regisseurinnen Carole Roussopoulos und Delphine Seyrig von 1976, dem Valerie Solanas S.C.U.M. Manifesto als Grundlage dient, knüpft sie darin an vergangene feministische Positionen an und führt diese in eigenen Statements weiter.

Feministische Perspektiven an der Erfreulichen Universität: 
12., 19. und 26. Februar sowie 5. März, Palace St.Gallen

palace.sg

Abend Nummer drei widmet sich dem «Antifeminismus als Mittel rechtspopulistischer Rhetorik». Wir kennen sie alle, die abschätzigen Kommentare: Feminazi, Kampflesbe, unterficktes Stück, oder um Brasiliens neuen Präsidenten Bolsonaro
zu zitieren: Die ist so hässlich, die will ich nicht mal vergewaltigen. Die Genderforscherin und Soziologin Franziska Schutzbach (mehr von ihr hier und in der Saitenausgabe vom März 2018) stellt ihr kürzlich erschienenes Buch Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick vor und erklärt, inwiefern Antifeminismus und Anti-Gender zentrale Elemente dieser Rhetorik sind,
 ob nun im rechten oder im christlich-fundamentalen Spektrum.

Am vierten Abend schliesslich wird das Manifest-Thema weitergesponnen 
und ins Heute übertragen. Dieses Jahr am 14. Juni findet der Frauen*streik statt. An diesem Tag wird einiges flachliegen, so viel ist klar, schliesslich machen die Frauen einen Grossteil der Erwerbstätigen aus. Und im Care-Sektor sind sie seit jeher in der Überzahl (wenn auch nicht unbedingt in den Führungsetagen).

Für die Philosophin
Tove Soiland ist klar: «Der Care-Sektor ist zum Battleground neoliberaler Restrukturierungen geworden, was Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen hunderttausender Beschäftigter hat.» Im Palace stellt sie ein Manifest zum Frauenstreik 2019
 vor, das als Gemeinschaftswerk vieler im Care-Bereich tätiger Frauen aus dem Feministischen Leseseminar der Gewerkschaft VPOD in Zürich entstanden ist. Darin formulieren sie ihre Kritik an der Ökonomisierung ihres Berufsfelds unter
dem Vorschein einer Professionalisierung.

Ein ambitioniertes Programm,
 das sich die Berthas* da zusammengestellt haben. Ein Programm, das auch zeigt,
 wie breitgefächert der feministische Aktivismus sein kann und muss. So geht es also sexpositiv in Richtung Frauenstreik – und in ein hoffentlich weiter geschlechterbewegtes neues Jahr.

Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.

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