Kurz nach Bekanntgabe des Abstimmungsresultats haben SP, Juso, Grüne und Junge Grüne die Stadtcharta mit dem Aufruf zu mehr Solidarität publiziert. Wart ihr also nicht allzu sehr überrascht vom Resultat?
Christoph Kobel: Dass es nicht einfach werden würde, war uns von Anfang an klar. Aber zumindest bis letzten Mittwoch, als wir uns in der SP zuletzt trafen, hatten wir noch Hoffnung auf ein Ja. Die Deutlichkeit des Resultats überrascht schon, besonders auch in jenen Gemeinden, die stark von den Zentralleistungen profitieren, wie Gaiserwald und Mörschwil beispielsweise. Ausgenommen natürlich Wittenbach und Rorschach, die beide Ja sagten. Auf dem Live-Ticker beim «Tagblatt» zuzusehen, wie die Karte immer roter wurde, hat schon wehgetan. Ich glaubte eigentlich bis zuletzt daran, dass man mit guten Argumenten die Bevölkerung überzeugen kann.
Die Abstimmung hat nun aber die SVP im Alleingang gewonnen.
Das ist ja ihre Lieblingsbeschäftigung: Einfache Botschaften und einfache Bilder zu verbreiten in einem komplexen Thema, um selber daraus politisch Kapital zu schlagen.
Ist der Abstimmungskampf zu lau geführt worden?
Nein. Ich habe in den letzten Monaten beispielsweise eine sehr engagierte Stadtpräsidentin erlebt, die landauf, landab gezogen ist und fast ausschliesslich Aufklärungsarbeit zu den Themen Stadtfinanzen und kantonaler Finanzausgleich gemacht hat. Auch in der Stadt St.Gallen haben wir einen engagierten Wahlkampf geführt, auch wenn wir hier weniger Überzeugungsarbeit leisten mussten.
Wie siehts mit dem Engagement der bürgerlichen Parteien aus, die ja – abgesehen von der SVP – allesamt für die Kompromisslösung waren?
Hier in der Stadt haben wir in diesem Thema gut mit den anderen Parteien zusammengearbeitet. Zu den Kantonalparteien kann ich mich nicht äussern.
Linksgrün reagiert jetzt mit dieser sogenannten Stadtcharta. Welche Idee steckt dahinter?
Uns Sozialdemokraten, der Juso, den Grünen und den Jungen Grünen ist es ein Anliegen, uns vom Abstimmungsresultat nicht entmutigen zu lassen. Die Stadtcharta entstand auch aus einem gewissen Frust heraus, dass man über einen so kleinen Betrag gemessen am Kantonsbudget überhaupt debattieren muss. Denn immerhin geht es um jenen Teil der zentralörtlichen Leistungen, die von Auswärtigen genutzt werden, aber von den Stadtsanktgaller:innen alleine bezahlt werden. Und selbst davon wäre nur ein kleiner Teil zusätzlich abgegolten worden. Deswegen jetzt aber auf Gegenangriff zu schalten und die Landbevölkerung anzufeinden, ist aus unserer Sicht nicht die Lösung. Vielmehr wollen wir zeigen, dass wir solidarisch noch stärker für unsere gemeinsamen Werte einstehen und zusammenhalten müssen. Wir wollen uns nicht spalten lassen.
Der SVP-Kantonalpräsident fordert, die Stadt solle ihre Sozialausgaben reduzieren, um die Finanzen in den Griff zu bekommen.
Das ist nichts Neues. Wir hingegen wollen unsere bisherigen sozialen, ökologischen und kulturellen Errungenschaften nicht abbauen, sondern im Gegenteil eher noch ausbauen. Aber wir kennen natürlich die aktuelle Finanzlage der Stadt.
Eben, ohne Geld bleibt das eine Utopie.
Wir sind nicht naiv. Die SP hat unter anderem eine Arbeitsgruppe Finanzen gebildet, die sich intensiv mit einer sozialdemokratischen Antwort auf die anstehenden finanziellen Herausforderungen befasst. Wir wollen an unseren Werten festhalten. Ziel ist es, demnächst eine Art finanzpolitisches Positionspapier vorliegen zu haben mit einer Liste klarer strategischer Ziele für die aktuelle Legislatur und darüber hinaus.
Gibt es erste konkrete Ideen?
Dazu kann ich nicht viel sagen, weil diese Arbeitsgruppe noch am Anfang ihrer Arbeit steht. Um eine Prüfung der Einnahmenseite werden wir vermutlich nicht herumkommen. Wie kann die Stadt zu mehr Geld kommen, um die Ausgaben zu decken, die zu einem sehr grossen Teil gebunden sind und eben nicht einfach für irgendwelche Luxusprojekte und links-grüne Ideologien aus dem Fenster geworfen werden, wie es der Stadt im Abstimmungskampf unterstellt wurde.
Muss die Stadtbevölkerung also mit Steuererhöhungen rechnen?
Zumindest eine Diskussion darüber ist nicht ausgeschlossen. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten. Eine andere Idee wäre zum Beispiel, für gewisse Leistungen Einheimischentarife einzuführen. Davon würde die Stadtbevölkerung profitieren.
Einheimischentarif für die einen bedeutet Auswärtigentarif für die anderen. Aber man will doch die Landbevölkerung gerade nicht abstrafen.
Wie gesagt, das sind nur ein paar erste Ideen, die herumschwirren und auch aus der Bevölkerung an uns herangetragen werden. Ob sie es in unser Positionspapier schaffen, steht noch in den Sternen.
Haben Stadt und Parlament in der Vergangenheit alles richtig gemacht und die Finanzen im Griff gehabt?
Da müssen wir auch selbstkritisch hinschauen. Klar, sind bei gewissen Projekten wie beispielsweise dem Busdepot Planungsfehler passiert und unnötige Kosten entstanden. Der Finanzhaushalt hat sich ja nicht einfach so und nur wegen der aktuellen Stadtregierung und der Legislative in den letzten Jahren massiv verschlechtert, da sind schon sehr viel früher Fehler passiert und Probleme aufgekommen. Damit will ich nicht die ganze Verantwortung auf frühere Generationen abschieben. Aber es ist Fakt, dass wir auch Altlasten mit uns tragen. Letztlich sind viele Ausgaben, die der Öffentlichkeit präsent sind und von der SVP entsprechend aufgebauscht wurden, nicht die ganz grossen finanzpolitischen Brocken.
Sondern?
Die grossen Posten sind gebundene und damit fixe Ausgaben. Wenn wir an unseren Werten festhalten wollen, und das tut die SP, dann können wir im Sozialbereich, bei der Bildung, bei der Nachhaltigkeit oder bei der Kultur nicht sparen. Weil das entscheidende Bereiche für unser Zusammenleben sind. Und noch einmal: Auch wenn wir über die 3,7 Millionen zusätzliche Ausgleichszahlungen seitens des Kantons natürlich sehr froh gewesen wären, die städtischen Finanzen wären damit noch nicht saniert gewesen. Ich bin froh, hat die Stadt für 2025 nicht mit diesem Geld budgetiert.
Wie sieht es mit dem städtischen Verwaltungsapparat aus? Ist der aufgebläht, wie manche glauben?
Auch da müssen wir kritisch hinschauen. In der Budgetdebatte 2025 hat das Parlament das auch gemacht. Wir haben zum Beispiel geschaut, dass die Bademeister in den Drei Weieren erhalten bleiben, und dafür andernorts eine Stelle nicht bewilligt.
Ist es nicht verständlich, wenn sich der Buchser oder die Melserin nicht an den Kosten für das Theater oder den Strassenunterhalt in der weit entfernten Kantonshauptstadt beteiligen möchten? Sollten die Zentrumslasten nicht stärker auf jene verteilt werden, die am meisten davon profitieren, also in erster Linie auf den Speckgürtel rund um die Stadt?
Das wäre vielleicht eine Option, aber es ist kantonalpolitisch gewollt, dass es keinen horizontalen Finanzausausgleich zwischen den Gemeinden gibt. Der Kanton St.Gallen entrichtet die Ausgleichszahlungen. Das kolportierte Bild, dass die reichen Gemeinden gezwungen sind, ihre schweren Geldsäcke nach St.Gallen zu tragen und dort abzugeben, ist schlicht falsch. In dieser Vorlage ging es auch um Solidarität. Die Städter:innen sagen schliesslich auch regelmässig Ja, wenn irgendwo in der Peripherie ein Berufsbildungszentrum oder etwas ähnliches gebaut wird.
War die Vorlage schlicht zu komplex?
Es ist sicherlich kein Thema, das sich so ohne weiteres erklären lässt. Das hat das Abstimmungsresultat deutlich gezeigt. Vor allem, wenn die Gegenseite mit einfachen Parolen Stimmung macht, die der Komplexität der Sache in keiner Weise gerecht werden.
Wie solls jetzt weitergehen?
Wir müssen uns künftig noch mehr vernetzen, innerhalb, aber auch mit anderen Städten. Linke Kräfte müssen ihren gemeinsamen Auftritt stärken. Wir müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln und die Probleme angehen. Darin besteht die Hauptaufgabe der Arbeitsgruppe Finanzen. Wir müssen eine Strategie für die Zukunft entwickeln und uns nicht mit einzelnen Stellenentscheiden aufhalten. Wir fordern: Keinen Sozialabbau auf Kosten der Schwächeren in unserer Gesellschaft.
Aber wenns hart auf hart kommt, wird womöglich bei für manche etwas weniger existenziellen Bereichen wie der Kultur gespart?
Eine solche Forderung wird man aus meinem Mund nie hören, auch weil Kultur ein wichtiges Bindeglied unserer Gesellschaft und Vielfalt darstellt. Für uns ist das der richtige Weg: An den eigenen Werten festhalten, ein Positionspapier ausarbeiten, dieses mit der Basis spiegeln und unsere Ideen so auf breit abgestützter SP-Basis in den politischen Prozess einbringen. Die überperteiliche Stadtcharta ist nur der erste Schritt in eine solidarischere Zukunft.
Christoph Kobel, 1993, geht den Speckgürtelweg umgekehrt: Er lebt im St.Galler Linsebühlquartier und arbeitet in der Nachbargemeinde Gaiserwald als Primarlehrer. 2019 trat er während seiner Arbeitstätigkeit im Wahlkampf der SP bei. Seit Januar 2024 politisiert Kobel im Stadtparlament, im April 2025 hat er das Präsidium der städtischen SP von Jenny Heeb und Peter Olibet übernommen.