«Ärmel hochkrempeln und linke Kräfte bündeln»

Christoph Kobel ist seit April Präsident der SP Stadt St.Gallen. (Bild: pd)

Nach dem kantonalen Nein zur faireren Entlastung ist die Stadt St.Gallen gefordert. Die städtische SP will nun ein Positionspapier erarbeiten, um trotz angespannter Finanzlage in eine solidarischere Zukunft zu schreiten, erklärt Parteipräsident Christoph Kobel im Gespräch.

Kurz nach Be­kannt­ga­be des Ab­stim­mungs­re­sul­tats ha­ben SP, Ju­so, Grü­ne und Jun­ge Grü­ne die Stadt­char­ta mit dem Auf­ruf zu mehr So­li­da­ri­tät pu­bli­ziert. Wart ihr al­so nicht all­zu sehr über­rascht vom Re­sul­tat?

Chris­toph Ko­bel: Dass es nicht ein­fach wer­den wür­de, war uns von An­fang an klar. Aber zu­min­dest bis letz­ten Mitt­woch, als wir uns in der SP zu­letzt tra­fen, hat­ten wir noch Hoff­nung auf ein Ja. Die Deut­lich­keit des Re­sul­tats über­rascht schon, be­son­ders auch in je­nen Ge­mein­den, die stark von den Zen­t­ral­leis­tun­gen pro­fi­tie­ren, wie Gai­ser­wald und Mör­schwil bei­spiels­wei­se. Aus­ge­nom­men na­tür­lich Wit­ten­bach und Ror­schach, die bei­de Ja sag­ten. Auf dem Live-Ti­cker beim «Tag­blatt» zu­zu­se­hen, wie die Kar­te im­mer ro­ter wur­de, hat schon weh­ge­tan. Ich glaub­te ei­gent­lich bis zu­letzt dar­an, dass man mit gu­ten Ar­gu­men­ten die Be­völ­ke­rung über­zeu­gen kann.

Die Ab­stim­mung hat nun aber die SVP im Al­lein­gang ge­won­nen.

Das ist ja ih­re Lieb­lings­be­schäf­ti­gung: Ein­fa­che Bot­schaf­ten und ein­fa­che Bil­der zu ver­brei­ten in ei­nem kom­ple­xen The­ma, um sel­ber dar­aus po­li­tisch Ka­pi­tal zu schla­gen.

Ist der Ab­stim­mungs­kampf zu lau ge­führt wor­den?

Nein. Ich ha­be in den letz­ten Mo­na­ten bei­spiels­wei­se ei­ne sehr en­ga­gier­te Stadt­prä­si­den­tin er­lebt, die land­auf, land­ab ge­zo­gen ist und fast aus­schliess­lich Auf­klä­rungs­ar­beit zu den The­men Stadt­fi­nan­zen und kan­to­na­ler Fi­nanz­aus­gleich ge­macht hat. Auch in der Stadt St.Gal­len ha­ben wir ei­nen en­ga­gier­ten Wahl­kampf ge­führt, auch wenn wir hier we­ni­ger Über­zeu­gungs­ar­beit leis­ten muss­ten.

Wie siehts mit dem En­ga­ge­ment der bür­ger­li­chen Par­tei­en aus, die ja – ab­ge­se­hen von der SVP – al­le­samt für die Kom­pro­miss­lö­sung wa­ren?

Hier in der Stadt ha­ben wir in die­sem The­ma gut mit den an­de­ren Par­tei­en zu­sam­men­ge­ar­bei­tet. Zu den Kan­to­nal­par­tei­en kann ich mich nicht äus­sern.

Links­grün re­agiert jetzt mit die­ser so­ge­nann­ten Stadt­char­ta. Wel­che Idee steckt da­hin­ter?

Uns So­zi­al­de­mo­kra­ten, der Ju­so, den Grü­nen und den Jun­gen Grü­nen ist es ein An­lie­gen, uns vom Ab­stim­mungs­re­sul­tat nicht ent­mu­ti­gen zu las­sen. Die Stadt­char­ta ent­stand auch aus ei­nem ge­wis­sen Frust her­aus, dass man über ei­nen so klei­nen Be­trag ge­mes­sen am Kan­tons­bud­get über­haupt de­bat­tie­ren muss. Denn im­mer­hin geht es um je­nen Teil der zen­tral­ört­li­chen Leis­tun­gen, die von Aus­wär­ti­gen ge­nutzt wer­den, aber von den Stadt­s­ankt­gal­ler:in­nen al­lei­ne be­zahlt wer­den. Und selbst da­von wä­re nur ein klei­ner Teil zu­sätz­lich ab­ge­gol­ten wor­den. Des­we­gen jetzt aber auf Ge­gen­an­griff zu schal­ten und die Land­be­völ­ke­rung an­zu­f­ein­den, ist aus un­se­rer Sicht nicht die Lö­sung. Viel­mehr wol­len wir zei­gen, dass wir so­li­da­risch noch stär­ker für un­se­re ge­mein­sa­men Wer­te ein­ste­hen und zu­sam­men­hal­ten müs­sen. Wir wol­len uns nicht spal­ten las­sen.

Der SVP-Kan­to­nal­prä­si­dent for­dert, die Stadt sol­le ih­re So­zi­al­aus­ga­ben re­du­zie­ren, um die Fi­nan­zen in den Griff zu be­kom­men.

Das ist nichts Neu­es. Wir hin­ge­gen wol­len un­se­re bis­he­ri­gen so­zia­len, öko­lo­gi­schen und kul­tu­rel­len Er­run­gen­schaf­ten nicht ab­bau­en, son­dern im Ge­gen­teil eher noch aus­bau­en. Aber wir ken­nen na­tür­lich die ak­tu­el­le Fi­nanz­la­ge der Stadt.

Eben, oh­ne Geld bleibt das ei­ne Uto­pie.

Wir sind nicht na­iv. Die SP hat un­ter an­de­rem ei­ne Ar­beits­grup­pe Fi­nan­zen ge­bil­det, die sich in­ten­siv mit ei­ner so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ant­wort auf die an­ste­hen­den fi­nan­zi­el­len Her­aus­for­de­run­gen be­fasst. Wir wol­len an un­se­ren Wer­ten fest­hal­ten. Ziel ist es, dem­nächst ei­ne Art fi­nanz­po­li­ti­sches Po­si­ti­ons­pa­pier vor­lie­gen zu ha­ben mit ei­ner Lis­te kla­rer stra­te­gi­scher Zie­le für die ak­tu­el­le Le­gis­la­tur und dar­über hin­aus.

Gibt es ers­te kon­kre­te Ideen?

Da­zu kann ich nicht viel sa­gen, weil die­se Ar­beits­grup­pe noch am An­fang ih­rer Ar­beit steht. Um ei­ne Prü­fung der Ein­nah­men­sei­te wer­den wir ver­mut­lich nicht her­um­kom­men. Wie kann die Stadt zu mehr Geld kom­men, um die Aus­ga­ben zu de­cken, die zu ei­nem sehr gros­sen Teil ge­bun­den sind und eben nicht ein­fach für ir­gend­wel­che Lu­xus­pro­jek­te und links-grü­ne Ideo­lo­gien aus dem Fens­ter ge­wor­fen wer­den, wie es der Stadt im Ab­stim­mungs­kampf un­ter­stellt wur­de. 

Muss die Stadt­be­völ­ke­rung al­so mit Steu­er­erhö­hun­gen rech­nen?

Zu­min­dest ei­ne Dis­kus­si­on dar­über ist nicht aus­ge­schlos­sen. Es gibt aber ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten. Ei­ne an­de­re Idee wä­re zum Bei­spiel, für ge­wis­se Leis­tun­gen Ein­hei­mi­schen­ta­ri­fe ein­zu­füh­ren. Da­von wür­de die Stadt­be­völ­ke­rung pro­fi­tie­ren.

Ein­hei­mi­schen­ta­rif für die ei­nen be­deu­tet Aus­wär­ti­gen­ta­rif für die an­de­ren. Aber man will doch die Land­be­völ­ke­rung ge­ra­de nicht ab­stra­fen.

Wie ge­sagt, das sind nur ein paar ers­te Ideen, die her­um­schwir­ren und auch aus der Be­völ­ke­rung an uns her­an­ge­tra­gen wer­den. Ob sie es in un­ser Po­si­ti­ons­pa­pier schaf­fen, steht noch in den Ster­nen.

Ha­ben Stadt und Par­la­ment in der Ver­gan­gen­heit al­les rich­tig ge­macht und die Fi­nan­zen im Griff ge­habt?

Da müs­sen wir auch selbst­kri­tisch hin­schau­en. Klar, sind bei ge­wis­sen Pro­jek­ten wie bei­spiels­wei­se dem Bus­de­pot Pla­nungs­feh­ler pas­siert und un­nö­ti­ge Kos­ten ent­stan­den. Der Fi­nanz­haus­halt hat sich ja nicht ein­fach so und nur we­gen der ak­tu­el­len Stadt­re­gie­rung und der Le­gis­la­ti­ve in den letz­ten Jah­ren mas­siv ver­schlech­tert, da sind schon sehr viel frü­her Feh­ler pas­siert und Pro­ble­me auf­ge­kom­men. Da­mit will ich nicht die gan­ze Ver­ant­wor­tung auf frü­he­re Ge­ne­ra­tio­nen ab­schie­ben. Aber es ist Fakt, dass wir auch Alt­las­ten mit uns tra­gen. Letzt­lich sind vie­le Aus­ga­ben, die der Öf­fent­lich­keit prä­sent sind und von der SVP ent­spre­chend auf­ge­bauscht wur­den, nicht die ganz gros­sen fi­nanz­po­li­ti­schen Bro­cken. 

Son­dern? 

Die gros­sen Pos­ten sind ge­bun­de­ne und da­mit fi­xe Aus­ga­ben. Wenn wir an un­se­ren Wer­ten fest­hal­ten wol­len, und das tut die SP, dann kön­nen wir im So­zi­al­be­reich, bei der Bil­dung, bei der Nach­hal­tig­keit oder bei der Kul­tur nicht spa­ren. Weil das ent­schei­den­de Be­rei­che für un­ser Zu­sam­men­le­ben sind. Und noch ein­mal: Auch wenn wir über die 3,7 Mil­lio­nen zu­sätz­li­che Aus­gleichs­zah­lun­gen sei­tens des Kan­tons na­tür­lich sehr froh ge­we­sen wä­ren, die städ­ti­schen Fi­nan­zen wä­ren da­mit noch nicht sa­niert ge­we­sen. Ich bin froh, hat die Stadt für 2025 nicht mit die­sem Geld bud­ge­tiert.

Wie sieht es mit dem städ­ti­schen Ver­wal­tungs­ap­pa­rat aus? Ist der auf­ge­bläht, wie man­che glau­ben?

Auch da müs­sen wir kri­tisch hin­schau­en. In der Bud­get­de­bat­te 2025 hat das Par­la­ment das auch ge­macht. Wir ha­ben zum Bei­spiel ge­schaut, dass die Ba­de­meis­ter in den Drei Weie­ren er­hal­ten blei­ben, und da­für an­dern­orts ei­ne Stel­le nicht be­wil­ligt.

Ist es nicht ver­ständ­lich, wenn sich der Buch­ser oder die Mel­se­rin nicht an den Kos­ten für das Thea­ter oder den Stras­sen­un­ter­halt in der weit ent­fern­ten Kan­tons­haupt­stadt be­tei­li­gen möch­ten? Soll­ten die Zen­trums­las­ten nicht stär­ker auf je­ne ver­teilt wer­den, die am meis­ten da­von pro­fi­tie­ren, al­so in ers­ter Li­nie auf den Speck­gür­tel rund um die Stadt?

Das wä­re viel­leicht ei­ne Op­ti­on, aber es ist kan­to­nal­po­li­tisch ge­wollt, dass es kei­nen ho­ri­zon­ta­len Fi­nanz­aus­aus­gleich zwi­schen den Ge­mein­den gibt. Der Kan­ton St.Gal­len ent­rich­tet die Aus­gleichs­zah­lun­gen. Das kol­por­tier­te Bild, dass die rei­chen Ge­mein­den ge­zwun­gen sind, ih­re schwe­ren Geld­sä­cke nach St.Gal­len zu tra­gen und dort ab­zu­ge­ben, ist schlicht falsch. In die­ser Vor­la­ge ging es auch um So­li­da­ri­tät. Die Städ­ter:in­nen sa­gen schliess­lich auch re­gel­mäs­sig Ja, wenn ir­gend­wo in der Pe­ri­phe­rie ein Be­rufs­bil­dungs­zen­trum oder et­was ähn­li­ches ge­baut wird.

War die Vor­la­ge schlicht zu kom­plex?

Es ist si­cher­lich kein The­ma, das sich so oh­ne wei­te­res er­klä­ren lässt. Das hat das Ab­stim­mungs­re­sul­tat deut­lich ge­zeigt. Vor al­lem, wenn die Ge­gen­sei­te mit ein­fa­chen Pa­ro­len Stim­mung macht, die der Kom­ple­xi­tät der Sa­che in kei­ner Wei­se ge­recht wer­den.

Wie solls jetzt wei­ter­ge­hen?

Wir müs­sen uns künf­tig noch mehr ver­net­zen, in­ner­halb, aber auch mit an­de­ren Städ­ten. Lin­ke Kräf­te müs­sen ih­ren ge­mein­sa­men Auf­tritt stär­ken. Wir müs­sen jetzt die Är­mel hoch­krem­peln und die Pro­ble­me an­ge­hen. Dar­in be­steht die Haupt­auf­ga­be der Ar­beits­grup­pe Fi­nan­zen. Wir müs­sen ei­ne Stra­te­gie für die Zu­kunft ent­wi­ckeln und uns nicht mit ein­zel­nen Stel­len­ent­schei­den auf­hal­ten. Wir for­dern: Kei­nen So­zi­al­ab­bau auf Kos­ten der Schwä­che­ren in un­se­rer Ge­sell­schaft.

Aber wenns hart auf hart kommt, wird wo­mög­lich bei für man­che et­was we­ni­ger exis­ten­zi­el­len Be­rei­chen wie der Kul­tur ge­spart?

Ei­ne sol­che For­de­rung wird man aus mei­nem Mund nie hö­ren, auch weil Kul­tur ein wich­ti­ges Bin­de­glied un­se­rer Ge­sell­schaft und Viel­falt dar­stellt. Für uns ist das der rich­ti­ge Weg: An den ei­ge­nen Wer­ten fest­hal­ten, ein Po­si­ti­ons­pa­pier aus­ar­bei­ten, die­ses mit der Ba­sis spie­geln und un­se­re Ideen so auf breit ab­ge­stütz­ter SP-Ba­sis in den po­li­ti­schen Pro­zess ein­brin­gen. Die über­per­tei­li­che Stadt­char­ta ist nur der ers­te Schritt in ei­ne so­li­da­ri­sche­re Zu­kunft.

Chris­toph Ko­bel, 1993, geht den Speck­gür­tel­weg um­ge­kehrt: Er lebt im St.Gal­ler Lin­se­bühl­quar­tier und ar­bei­tet in der Nach­bar­ge­mein­de Gai­ser­wald als Pri­mar­leh­rer. 2019 trat er wäh­rend sei­ner Ar­beits­tä­tig­keit im Wahl­kampf der SP bei. Seit Ja­nu­ar 2024 po­li­ti­siert Ko­bel im Stadt­par­la­ment, im April 2025 hat er das Prä­si­di­um der städ­ti­schen SP von Jen­ny Heeb und Pe­ter Oli­bet über­nom­men.