Eine Ohrfeige für die Kantonshauptstadt

Abstimmungsplakat in SVP-Manier: Der Honigtopfbär an der Landstrasse unterhalb von Wittenbach.  (Bild: Reto Voneschen)

St.Gallen erhält nicht mehr Geld aus dem kantonalen Finanzausgleich. Nur drei von 75 Gemeinden sagten dazu Ja. Das wirft grundsätzliche Fragen auf. Etwa zum Zusammenleben im Ringkanton, der aus Regionen mit unterschiedlichen Interessen und Ausrichtungen besteht. Ein Kommentar. 

Der Ent­scheid ist ein­deu­tig, das Nein ist aber – dank der Stimm­kraft der Stadt – doch et­was we­ni­ger deut­lich aus­ge­fal­len, als teil­wei­se im Vor­feld ver­mu­tet wor­den war. Knapp 58 Pro­zent der Stim­men­den ha­ben am Wo­chen­en­de ei­nen Nach­trag zum Fi­nanz­aus­gleichs­ge­setz des Kan­tons St.Gal­len ab­ge­lehnt. Da­mit woll­ten der Re­gie­rungs­rat und die Mehr­heit des Kan­tons­rats der ge­beu­tel­ten St.Gal­ler Stadt­kas­se von 2025 bis 2028 mit jähr­lich zu­sätz­lich 3,7 Mil­lio­nen Fran­ken aus dem Fi­nanz­aus­gleich un­ter die Ar­me grei­fen. Dar­aus wird jetzt nichts.

Ei­gent­lich er­bringt die Stadt St.Gal­len ge­mäss Stu­die jähr­lich un­ge­deck­te Zen­trums­las­ten von rund 11 Mil­lio­nen Fran­ken. Vor die­sem Hin­ter­grund wa­ren aus ih­rer Sicht die jähr­lich 3,7 Mil­lio­nen zu­sätz­lich ein nicht ganz be­frie­di­gen­der, aber an­ge­sichts der Mehr­hei­ten in der Kan­tons­po­li­tik rea­lis­ti­scher Kom­pro­miss. Nur schon die­se Lö­sung ging aber der SVP-Frak­ti­on im Kan­tons­rat zu weit. Die Par­tei, die seit ei­ni­ger Zeit ge­zielt Dif­fe­ren­zen zwi­schen Stadt und Land zum ei­ge­nen Nut­zen be­wirt­schaf­tet und kei­ne Ge­le­gen­heit aus­lässt, um der Kan­tons­haupt­stadt eins aus­zu­wi­schen, er­zwang mit­tels Rats­re­fe­ren­dum die Ab­stim­mung. 

Die Nein-Kam­pa­gne führ­te die Rechts­par­tei ag­gres­siv, po­le­misch und mit mar­kan­tem Pla­kat. Das Re­sul­tat des Ur­nen­gangs fällt er­war­tungs­ge­mäss aus. Von 75 Ge­mein­den im Kan­ton sa­gen 72 Nein zur Vor­la­ge. Ne­ben der Stadt St.Gal­len (81,3 Pro­zent Ja) stimm­ten nur zwei Ge­mein­den zu. Dan­ke Wit­ten­bach (51,6 Pro­zent)! Dan­ke Ror­schach (56,6 Pro­zent)! Im nörd­li­chen Kan­tons­teil, von Wil bis Thal, wur­de die Vor­la­ge in 25 von 28 der Ge­mein­den, die am stärks­ten von Stadt­s­ankt­gal­ler Zen­trums­leis­tun­gen pro­fi­tie­ren, mit Nein-An­tei­len zwi­schen 52,2 bis 76,4 Pro­zent ge­bo­digt.

Re­gio­nen mit un­ter­schied­li­cher Aus­rich­tung

Das kla­re Nein zu ei­nem ge­rech­te­ren Fi­nanz­aus­gleich ist ers­tens ein schwie­ri­ges Si­gnal für den Kan­ton St.Gal­len. Er ist ein Ring rund um bei­de Ap­pen­zell. Sei­nen Ur­sprung hat er in der Zeit Na­po­le­ons. Da­mals wur­den Re­gio­nen mit un­ter­schied­li­cher Ge­schich­te so­wie un­ter­schied­li­chen In­ter­es­sen und Aus­rich­tun­gen zu­sam­men­ge­fügt. Bei dem ter­ri­to­ria­len Mix war das Fin­den ei­nes ge­mein­sa­men Nen­ners in der Kan­tons­po­li­tik oft ei­ne Kunst, die meist dank re­gio­na­lem Aus­gleich und So­li­da­ri­tät der Re­gio­nen un­ter­ein­an­der ei­ni­ger­mas­sen ge­lun­gen ist. 

Das Re­sul­tat der Ab­stim­mung über den Fi­nanz­aus­gleich könn­te dar­auf hin­deu­ten, dass sich da et­was am Ver­än­dern ist im St.Gal­li­schen. Die Po­la­ri­sie­rung der Po­li­tik hat auf kan­to­na­ler Ebe­ne zu ei­nem Rechts­ruck ge­führt; ton­an­ge­ben­de Par­tei ist heu­te die SVP, der oft Tei­le von FDP und Mit­te fol­gen. Links-grün ist im Kan­tons­rat ei­ne Min­der­heit, die es schwer hat, sich ge­gen «die Dampf­wal­ze von rechts» Ge­hör zu ver­schaf­fen. Dass die Si­tua­ti­on in der Stadt mit links-grün-grün­li­be­ra­ler Mehr­heit im Par­la­ment so­wie ei­ner Mit­te-links Re­gie­rung ge­nau um­ge­kehrt ist, führt zwangs­läu­fig zu Span­nun­gen.

Un­ter Druck ge­rät da­durch ak­tu­ell auch die bis­her im­mer hoch­ge­hal­te­ne Ge­mein­de­au­to­no­mie, ein wei­te­rer Teil des Kitts, der den Ring­kan­ton zu­sam­men­hält. Weil sich SVP, FDP und Mit­te in der städ­ti­schen Ver­kehrs­po­li­tik (et­wa bei Tem­po 30 auf Haupt­stras­sen) de­mo­kra­tisch nicht mehr durch­set­zen kön­nen, ver­la­gern sie den Streit in den Kan­tons­rat. Dort liegt ein Vor­stoss, mit dem die Stadt beim Reiz­the­ma Tem­po 30 qua­si ent­mün­digt wer­den soll. Dass da­von auch an­de­re Ge­mein­den wie Sar­gans oder Ben­ken be­trof­fen sind, stört of­fen­bar nicht. 

Spalt­pilz­po­li­tik als Ri­si­ko für den Ring­kan­ton

Trotz­dem soll­te man den Ab­stim­mungs­ent­scheid ge­gen die So­li­da­ri­tät mit der fi­nan­zi­ell not­lei­den­den Stadt jetzt nicht zu hoch hän­gen. Der Kan­ton wird da­durch nicht aus­ein­an­der­bre­chen. Lang­fris­ti­ge Ri­si­ken birgt die dar­in zum Aus­druck kom­men­de Spalt­pilz­po­li­tik der SVP trotz­dem: Sie ver­bes­sert die Stim­mung zwi­schen Stadt und Land si­cher nicht. Was wie­der­um die Be­reit­schaft stra­pa­zie­ren könn­te, An­lie­gen und Pro­jek­te beim je­weils an­de­ren zu un­ter­stüt­zen. Im schlech­tes­ten Fall mün­det das in ei­ner Blo­cka­de, die letzt­lich dem Kan­ton und sei­ner Be­völ­ke­rung ins­ge­samt scha­det. 

Den kan­to­na­len Ver­lie­rern des Ab­stim­mungs­sonn­tags müss­te die­se Ge­fahr ei­gent­lich zu den­ken ge­ben. Zu den Ver­lie­rern zäh­len ne­ben der Re­gie­rung und den Links­grü­nen auch die Frak­tio­nen von FDP und Mit­te/EVP. Von den bei­den bür­ger­li­chen Par­tei­en gab es bis Re­dak­ti­ons­schluss kei­ne of­fi­zi­el­le Stel­lung­nah­me zum Fi­nanz­aus­gleich. Die Stadt­par­tei­en von SP und Grü­nen so­wie Ju­so und Jun­ge Grü­ne teil­ten mit, dass sie als Re­ak­ti­on aufs Nein die Stadt­char­ta lan­cie­ren wol­len. Die­ses Bünd­nis soll «ein Zei­chen für So­li­da­ri­tät, so­zia­le Ge­rech­tig­keit und öf­fent­li­che Ver­ant­wor­tung so­wie ge­gen rech­ten Po­pu­lis­mus, Ab­bau­po­li­tik und die zu­neh­men­de Spal­tung im Kan­ton set­zen».

Weck­ruf für die Stadt­be­hör­den?

Das kla­re Nein zur ge­rech­ten Ab­gel­tung von Leis­tun­gen, die die Kan­tons­haupt­stadt für an­de­re er­bringt, ist auch ein schwie­ri­ges Si­gnal für die Stadt St.Gal­len. Dies um­so mehr, als es am ak­tu­el­len Ab­stim­mungs­sonn­tag nicht um «Stadt ge­gen Land» ging, son­dern um «Al­le ge­gen die Stadt». Die Mehr­heit der Stimm­be­rech­tig­ten klei­ne­rer Zen­tren im Kan­ton, die teils von ähn­li­chen Pro­ble­men wie St.Gal­len ge­plagt wer­den, lehn­ten die Vor­la­ge näm­lich ab. Ver­ständ­nis für die Rol­le der Haupt­stadt als Mo­tor des Kan­tons und für die Fi­nanz­nö­te der Zen­trums­stadt sieht an­ders aus.

Ge­nau der letz­te Punkt muss der of­fi­zi­el­len Stadt St.Gal­len zu den­ken ge­ben. Stadt­po­li­tik und Statdbe­hör­den ha­ben den Ent­scheid vom Sonn­tag zu ak­zep­tie­ren. Sie tun aber gut dar­an, sich rasch zu über­le­gen, wie sie dar­auf re­agie­ren wol­len. Zum ei­nen bleibt die Ab­gel­tung der Zen­trums­las­ten auch nach dem Nein vom Sonn­tag ein The­ma. Zum an­de­ren ist ab­seh­bar, dass der nächs­te An­griff von rechts auf die Kan­tons­haupt­stadt – et­wa in Zu­sam­men­hang mit dem an­ste­hen­den kan­to­na­len Spar­pa­ket – nicht lan­ge auf sich war­ten las­sen dürf­te.

Kon­kret war von Stadt­prä­si­den­tin Ma­ria Pap­pa am Sonn­tag­mit­tag we­nig dar­über zu er­fah­ren, wie die Stadt­re­gie­rung da­mit um­ge­hen will, dass beim Nein zum Fi­nanz­aus­gleich of­fen­sicht­lich ei­ne tief­sit­zen­de Ab­nei­gung, vie­le Vor­ur­tei­le und Un­ver­ständ­nis für die Rol­le der Zen­trums­stadt mit­ge­spielt ha­ben. Ei­ne kon­kre­te Ge­samt­stra­te­gie oder gar ein Pa­ket mit Mass­nah­men, um aus die­ser un­ge­müt­li­chen Si­tua­ti­on her­aus­zu­kom­men, exis­tiert of­fen­bar (noch?) nicht.

Et­was See­len­bal­sam für al­le städ­ti­schen Ver­lie­rer:in­nen der Ab­stim­mung für ei­nen ge­rech­ten Fi­nanz­aus­gleich könn­te es schon auch ge­ben: Seit 2000 ver­such­te die SVP im­mer wie­der, ei­nen Sitz in der St.Gal­ler Stadt­re­gie­rung zu er­obern. Nach ih­rem So­lo­sturm­lauf ge­gen die fi­nan­zi­el­le Ent­las­tung der Stadt müs­sen wir in den nächs­ten Jah­ren si­cher nicht mit dem Ein­zug der Par­tei in die Stadt­re­gie­rung rech­nen. In der Stadt hat­ten es Kan­di­die­ren­de der SVP für den Stadt­rat wie für na­tio­na­le Wah­len und die Kan­tons­re­gie­rung schon bis­her schwer. Sie dür­fen sich nicht wun­dern, wenn sie hier künf­tig auf noch we­ni­ger Zu­spruch als bis­her stos­sen wer­den.