Wann wart ihr letztmals an einem Konzert? Nein, nicht im Letzigrund bei Ed Sheeran oder im Hallenstadion bei Lenny Kravitz. Auch nicht bei Puccinis Tosca an den St.Galler Festspielen. Sondern in einem der vielen alternativen Konzertlokale im Saiten-Land, die jenen Musiker:innen eine Bühne geben, die nicht die grosse Masse erreichen.
Für die grossen Konzerte werden längst Mondpreise (und entsprechende Gagen) verlangt – und ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt. Bei den kleinen Konzertlokalen hingegen reichen die Einnahmen aus den Ticketverkäufen und sinkenden Barumsätzen oft nicht einmal, um den Musiker:innen faire Gagen zu bezahlen. Ganz abgesehen davon, dass viele dieser Veranstaltungsorte ohne unzählige Stunden ehrenamtlicher Arbeit gar nicht überleben könnten.
Diesen Frühling hat Sonart, der grösste Verband der professionellen Schweizer Musiker:innen, die lange angekündigten Honorarempfehlungen veröffentlicht. Diese sind deutlich höher als das, was viele Acts heute bekommen. Die Budgets der meisten Konzertlokale sind jedoch auf Kante genäht. Es steht ausser Frage, dass Musiker:innen fair bezahlt werden müssen. Doch solange die Politik nicht mehr Geld für die Kultur spricht, tut die Kulturförderung gut daran, die Honorarempfehlungen nicht in Honorarvorschriften für die subventionierten Betriebe zu verwandeln. Ansonsten droht die Ostschweizer Musiklandschaft schnell zu veröden. Supportacts würden weniger gebucht, Konzertlokale müssten schliessen. Die grosse Honorargeschichte gibts ab Seite 14.
Derweil feiert das St.Galler Kinok sein 40-Jahr-Jubiläum. Was ganz klein in St.Fiden begann, hat sich spätestens seit dem Umzug in die Lokremise zu einem Leuchtturm für das alternative Filmschaffen entwickelt. Ab Seite 32 erzählt Reto Voneschen die bewegte Geschichte des Programmkinos; Fotografin und Kamerafrau Verena Schoch nähert sich in einem persönlichen Essay dem Kinok an.
Ein Jubiläum feiert auch eine andere St.Galler Institution: Gambrinus Jazz Plus wird 30 Jahre alt. Und ennet des Rheins brennen auf der Geburtstagstorte des Jazzclubs Lustenau ganze 20 Kerzen mehr: 50 Jahre! Mehr dazu im Text von Philipp Bürkler ab Seite 42.
Ausserdem im winterzeitlichen November: das neue Buch von Peter Stahlberger zur Geschichte der Stadt St.Gallen seit dem Zweiten Weltkrieg, die St.Galler Widerstandstänzerin Julia Marcus, der Redeplatz mit Brigitte Schmid-Gugler zur Neuauflage ihres Films Heie, ein Porträt von Manorkunstpreisträger:in marce norbert hörler anlässlich der Ausstellung «slant» im Kunstmuseum St.Gallen, das neue Zuhause des Kulturraums «Auto» und eine Eigenproduktion der Kellerbühne, die die Brücke schlägt zwischen Werken von Rainer Maria Rilke und der Gewalt an Frauen.
Wir sehen uns vor der Bühne!
David Gadze
Der Inhalt:
Positionen
«Man muss den Ort Kennen, um das Phänomen zu verstehen»
Redeplatz mit Brigitte Schmid-Gugler
24/7 Traumacore: When the world ends, you and me still care
von Mia Nägeli
Stimmrecht: St.Gallen jetzt und damals
von Liliia Matviiv
Perspektiven
Konzertgagen
Nach jahrelanger Arbeit hat Sonart im Mai die Honorarrichtlinien für professionelle Musiker:innen veröffentlicht. Was diesen die Existenzgrundlage sichern soll, verschärft für Veranstalter:innen und Konzertlokale die finanziellen Probleme – mit entsprechenden Rückkopplungen auf das Booking.
von David Gadze
Die Ostschweiz im Dritten Reich (IX): Tänzerin gegen Hitler
Eine Heidi-Aufführung am Stadttheater brachte die St.Gallerin Julia Marcus (1904–2002) zum Neuen Tanz. Nach Stationen in Zürich, Dresden und Berlin lebte und arbeitete sie ab 1933 in Frankreich. Auch während der deutschen Besatzung blieb sie überzeugte Kommunistin.
von Richard Butz
Kultur
Vom Alternativprojekt zur kulturellen Institution
40 Jahre Programmkino in St.Gallen: Das Kinok jubiliert im November. Und es hat allen Grund dazu, die eigene Erfolgsgeschichte zu feiern.
von Reto Voneschen
Eine persönliche Annäherung an das 40 Jahre lange Schaffen der Kinokis in St.Gallen.
von Verena Schoch
Stadtgeschichte
Peter Stahlberger legt ein umfassendes Überblickswerk für die Nachkriegszeit in St.Gallen vor.
von Roman Hertler
Zwischen Nischen und «Mainstream»
50 Jahre Jazzclub Lustenau und 30 Jahre Gambrinus Jazz in St.Gallen: Zwei regionale Jazz-Institutionen feiern Geburtstag.
von Philipp Bürkler
Neues «Auto»: Grösser und mehr
Das «Auto» ist der Ausstellungs- und Projektraum von Visarte Ost in St.Gallen. Er befindet sich neu an der Wassergasse.
von Ursula Badrutt
Kunst als kontinuierliche Neuverortung
Als St.Galler Manorkunstpreisträger:in verwandelt marce norbert hörler flüchtige Erfahrungen in vielschichtige Wahrnehmungsräume.
von Lilli Kim Schreiber
#MeToo um 1900
Gewalt an Frauen: Das Thema trieb vor mehr als 100 Jahren den jungen Dichter Rilke um. Zu sehen in der Kellerbühne.
von Peter Surber
Gutes Bauen (XXX): Wohnen im Fotohotspot.
von Corinne Riedener
Plattentipps: Analog im November.
von Lidija Dragojević, Tobias Imbach und Philipp Buob
Boulevard: Ehrenmais und Reue Rau'.
von Josip Gossip
Abgesang
Kellers Geschichten: Saridon
Comic von Julia Kubik: Die Prophezeiung