Doppelt neues Leben in der Prestegg

Nur etwas ist wie früher: Die Metallskulptur an der Tür, Markenzeichen des alten Diogenes-Theaters an der Kugelgasse, hat es in den Neubau an der Rabengasse, mitten in der historischen Altstadt, geschafft. Künstler Josef Ebnöther hat sein Werk auf die breitere neue Tür angepasst.
Bühne über dem Kohlekeller
Aber im übrigen ist das Diogenes nicht wiederzuerkennen. Hinter der Ebnöther-Tür öffnet sich ein helles Foyer samt langer Bar mit roter Sockelbemalung. Der Theaterraum senkt sich in mehreren Stufen ab Richtung Bühne. Normal 120, maximal 150 Stühle finden Platz, Licht- und Tontechnik sind neu, ein Flügel ist hinzugekommen, in Nebenräumen sind Technik und Künstler:innen-Garderoben untergebracht, die Akustik ist zertifiziert.
Neuer Theatersaal (hier noch ohne Bestuhlung) …
Ein grosses Tor zum Innenhof macht es möglich, dass auch sperrige Kulissen ebenerdig auf die Bühne gebracht werden können. «Fast wie im Stadttheater», lacht Michel Bawidamann.
Wie die arena-artige Anlage des Saals überhaupt möglich wurde, zeigt Bawidamann einen Stock tiefer. Hier sind die alten Gewölbe der ehemaligen Bierbrauerei umgenutzt zu Toiletten, Heizungs- und Abstellräumen, und nochmal eine Treppe tiefer liegt das untere Gewölbe, der einstige Kohlenkeller. Über ihm befindet sich jetzt die Bühne.
Theaterleiter Bawidamann strahlt. Aber er sei auch froh, wenn die Eröffnung jetzt komme. Rund zehn Jahre sind seit den ersten Ideen für ein «neues» Diogenes vergangen. Das alte Haus an der Kugelgasse war marode, die Infrastruktur nicht mehr zeitgemäss, kein barrierefreier Zugang, keine getrennten Toiletten. Eine Renovation hätte dem Theaterraum rund 30 seiner 120 Plätze weggenommen.
So habe man sich auf die Suche nach Alternativen gemacht und 2015 die Museumsgesellschaft angesprochen, die mit ihrem Ortsmuseum in der Prestegg ebenfalls vor Erneuerungsaufgaben stand. Eine Studie ergab: Der Nordflügel, als Beiz mit eher durchzogenem Ruf genutzt und mit Wohnungen in den Obergeschossen, liesse sich als Theater nutzen.
«Als nächstes galt es, unsere Mitglieder zu überzeugen», sagt Bawidamann – «eine Handvoll war zwar nicht begeistert, aber die grosse Mehrheit zog mit». 700 Mitglieder hat der Theaterverein, verstreut über das halbe Rheintal: Diese starke Verankerung in der Region war mit entscheidend, dass 2018 67 Prozent der Stimmberechtigten Ja sagten zum 2,5-Millionen-Beitrag der Stadt Altstätten an den Umbau.
Dieses Bekenntnis öffnete die Tür für den Kanton, der aus dem Lotteriefonds ebenfalls 2,5 Millionen beisteuerte. Nochmal derselbe Betrag kam von der Besitzerin der Liegenschaft und Betreiberin des Museums, der Museumsgesellschaft. Die übrigen Mittel brachten das Diogenes-Theater, Stiftungen, private Donator:innen und Firmen auf.
Die Finanzierung, sagt Bawidamann, war «noch der grössere Lupf als die Bauphase» – mit glücklichem Ende.
Stadtschloss, Brauerei, Museum
Ständige Veränderungen: Das gehöre zur Geschichte des Hauses, sagt im Ausstellungssaal über dem Theater Caroline Schärli, die Kuratorin des Museums. In der Eröffnungsausstellung sind die Etappen der Sammlungs- und Hausgeschichte nachgezeichnet und mit jeweils passenden Objekten illustriert: das Mittelalter, aus dem noch Grundmauern stammen, die Barockzeit als «Stadtschloss» der Textilhandelsfamilie Custer, die Epoche der Brauerei von 1867 an, 1895 dann die Gründung des Museums, die rekordverdächtige 67 Jahre lange Ära unter Kustos Carl Moser, schliesslich die Gegenwart mit dem Umbau unter Leitung des einheimischen Büros Schwabegger & Zoller.
Ausstellungsgestalter Johannes Stieger hat einen gelben Tisch in die Mitte des Raums gesetzt und die objektgeschichtliche Auslegeordnung ergänzt durch Plakate entlang den Wänden. Sie ruft die Phasen der Renovation im denkmalgeschützten Bau in Erinnerung.
Die Sonderausstellung «Die Prestegg im Wandel» sei ein Anfang, sagt Kuratorin Schärli – geeignet, das Haus selber als «Exponat» zum Thema zu machen. Ein weiterer Saal, im prächtig wiederhergestellten Dachstock des Nordflügels gelegen und momentan noch leer, wird als nächstes hinzukommen.
Im Südflügel, wo bisher das Museum einquartiert war, ist die Renovation noch im Gang – inklusive dem «Göttersaal» mit seiner vielbewunderten bemalten Decke, der künftig als Trauzimmer der Gemeinde genutzt wird.
Die Bevölkerung soll mitgestalten
Was kann ein Museum heute? Wie geht es mit der Sammlung um, und wie bezieht es das Publikum mit ein? Solche Fragen seien für sie zentral, sagt Caroline Schärli. Den Besucher:innen Wissen zu vermitteln, sei das eine – sie zum Fragenstellen und Denken anzuregen, das andere. Und zum «Vordergrund» der Ausstellungen gehöre auch die Hintergrundsarbeit: die Pflege der Sammlung, die nach jener des Historischen Museums St.Gallen zu den grössten im Kanton zählt. Viel Arbeit für das kleine Team, räumt Caroline Schärli ein.
«Wir wollen die Räume nicht einfach mit Objekten, sondern mit Menschen füllen», ergänzt ihre für Vermittlung zuständige Teamkollegin Klaudia Barthelme. Workshops sind ein wichtiger Teil des Programms. Der neue Atelierraum, den auch das Diogenes für seine Kursangebote nutzt, steht dafür zur Verfügung.
Auf Vermittlung legt auch Michel Bawidamann vom Theater grössten Wert: Ziel sei es, alle Generationen vom Kindergarten bis zum hohen Alter im Haus zu haben. Dafür bietet das Diogenes eine Vielzahl von Kursen an – Theater, Ballett, Steppen, Zirkus, Jodeln und so weiter. Und arbeitet unter anderem mit der Talentschule Rheintal zusammen – das Ergebnis, die Eigenproduktion Show Star, ist ab 3. Dezember im Theater zu sehen. In der wärmeren Jahreszeit soll auch der neu gestaltete Garten bespielt werden.
Tag der offenen Tür, Prestegg Zentrum für Geschichte und Kultur: 27. November 12 bis 22 Uhr
Galaabend der Kleinkunst: 4. Dezember 19 Uhr mit Patti Basler und Philippe Kuhn, Duo Luna Tic, Ohne Rolf, Lara Stoll und Michael Elsener
Vorerst wird eröffnet: mit einem Festakt am Freitag und einem Tag der offenen Tür am Samstag, unter anderem mit Kindertheater, Musik des Trio Anderscht, des Goran Kovacevic Collective und Crimer sowie Auftritten des Rigolo Tanztheaters.
Danach legt das Diogenes los, mit einem Galaabend der Kleinkunst, mit Kabarett, Comedy, Konzerten und Theater. Denn nicht alles wird anders am neuen Ort: Die bewährte Programmmischung bleibe, sagt Michael Bawidamann.