Ungefähr zwanzig Jahre lang lagerten achteinhalb Garnspulen ungenutzt im Atelier der Aargauer Künstlerin Agatha Zobrist. Nun sind acht dieser Garnspulen zu neuem Leben erwacht: Gemeinsam haben die Aargauerin und die Ausserrhoder Künstlerin Beatrice Dörig aus dem Material eine Installation geschaffen. Zu sehen ist das Werk noch bis zum 7. September in der Weinfelder Remise als Teil der Ausstellung «Talking Lines».
Die Ausstellung ist das Ergebnis des diesjährigen Aufenthalts der Künstlerinnen im Sommeratelier in der besagten Remise. Seit April arbeiteten Dörig und Zobrist regelmässig dort, entwickelten Ideen und verwarfen sie wieder. «Schön war für mich, dass jedes Mal, wenn wir im Atelier waren, sofort ein enormes Ping Pong zwischen uns begann», erzählt Beatrice Dörig. Vieles hätten sie gemeinsam direkt vor Ort ausprobiert, fügt Agatha Zobrist an, und so sei die Ausstellung dann auch Schritt für Schritt entstanden. Der Reiz einer solchen Zusammenarbeit liegt für Zobrist darin, «die eigenen Grenzen zu erweitern und dabei trotzdem bei sich zu bleiben.»
Dass das zwischen Dörig und Zobrist funktioniert, konnten die beiden bereits letztes Jahr unter Beweis stellen, als sie für eine Ausstellung in der Beletage in Aarau erstmals kooperierten. Und es war dann auch diese Erfahrung, die die Künstlerinnen zur gemeinsamen Bewerbung für das Sommeratelier in Weinfelden bewog.
Alphabetisches Gemurmel
In Weinfelden haben die zwei Künstlerinnen nun eine Ausstellung geschaffen, die sich auf verschiedenen Ebenen mit Sprache, ihren Verbindungen und Festschreibungen, aber auch ihrer Flüchtigkeit befasst. Dabei hat jede Künstlerin ihren eigenen Schwerpunkt: Dörig, die in St.Gallen lebt, arbeitet oft mit grossformatigen Linienzeichnungen und interessiert sich für die Lesbarkeit von Symbolen über Kulturkreise hinweg. Zobrist, wohnhaft in Zürich, beschäftigt sich damit, wie das Gehirn Zeichen oder eben auch Sprache verarbeitet. In ihrer Kunst fokussiert sie auf Installationen und Objektkunst.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung «Talking Lines» ist die Verbindung von Identität und Sprache. In diesem Zusammenhang haben sich die Künstlerinnen in Kooperation mit der Arbeitsintegrationsstelle Kompass intensiv mit Menschen aus unterschiedlichen Sprachkulturen auseinandergesetzt. Und diese Menschen baten die Künstlerinnen darum, das Alphabet in ihrer Muttersprache aufzusagen – darunter Arabisch, Portugiesisch, Russisch, Tibetisch, Aramäisch und Ukrainisch. Das Gesprochene zeichneten die Künstlerinnen auf und fügten es zu einer Komposition zusammen.
Der entstandene Klangkörper, so die Künstlerinnen, sei ein Gemurmel, das durch die jeweiligen Rhythmen der Alphabete eine ganz eigene Tonalität entfalte. Abgespielt wird diese Audioarbeit im Obergeschoss der Remise, wobei das Gemurmel dank der Gebäudeakustik in allen Etagen des dreistöckigen Hauses zu hören ist.
Das Garn, das keines ist
Und wie sich das Gemurmel der Stimmen von oben nach unten durch das Gebäude zieht, so durchdringt auch das Hauptwerk der Ausstellung, die Garninstallation, alle drei Etagen der Remise.
Von acht Industriespulen zieht sich das Garn vom Dachstock durch die Decke hindurch ins Mittelgeschoss. Dort windet es sich sorgfältig drapiert in acht grossen, kreisförmigen Spiralen auf dem Holzboden, um dann wieder zwischen den Holzdielen zu verschwinden. Im Erdgeschoss treten die Fäden erneut aus der Decke hervor und bilden in einem endlosen Auf und Ab einen rechteckigen «Raum im Raum». Die dabei entstehenden senkrechten Linien formen sich, scheinbar der Schwerkraft trotzend, zu kryptischen Symbolen.
Die Umsetzung dieser Garninstallation sei erst durch die besondere Beschaffenheit des Materials möglich, erklärt Zobrist, denn das Garn sei eigentlich kein Garn, sondern ein Strickschlauch. Diese Erklärung ist aber nur bedingt zufriedenstellend – zu schleierhaft scheint es, wie die Fäden im Raum ihre Form halten. Aber: Mehr lassen sich die Künstlerinnen nicht entlocken: «Magie», sagt Agatha Zobrist nur noch lachend.
Agatha Zobrist und Beatrice Dörig – «Talking Lines»: 24. August bis 7. September, Remise, Weinfelden.
saiten.ch/kalender

Das Garn zieht sich durch die Ausstellung (Bild: pd/Beatrice Dörig)