«Manchmal braucht es politische Courage!»

Michael Kinzer hat als Kulturchef in Lausanne gezeigt, wie Stadtentwicklung und Kultur voneinander profitieren können. Seit Juli ist er Direktor der Pro Helvetia. Ein Gespräch über Mut, Kultur als Wirtschaftsfaktor und politische Überzeugungsarbeit.

Michael Kinzer (* 1972) ist neuer Direktor der Kulturstiftung Pro Helvetia. Seine Karriere begann er als Programmverantwortlicher des Fribourger Kulturlokals Fri-Son, ab 2017 leitete er die Dienststelle Kultur der Stadt Lausanne. Ausserdem war er Co-Präsident der Städtekonferenz Kultur. (Bilder: Pro Helvetia/federal studio)

Herr Kin­zer, Sie wa­ren vie­le Jah­re Kul­tur­schaf­fen­der und Kul­tur­or­ga­ni­sa­tor, Sie sind seit 2017 Kul­tur­chef der Stadt Lau­sanne und ha­ben Stadt und Kul­tur­sze­ne auf ver­schie­de­nen We­gen ge­prägt. Aus ih­rer Er­fah­rung: Wel­che Rol­le kann Kul­tur in der Ent­wick­lung von Städ­ten und Ge­mein­den spie­len?

Kul­tur kann un­ser Zu­sam­men­le­ben prä­gen. Des­halb ist es wich­tig, Kul­tur in al­le Stadt­ent­wick­lungs­pro­zes­se ein­zu­be­zie­hen. Kul­tur schafft Dia­log, Be­geg­nung und Aus­tausch, all das, was wir in der heu­ti­gen Ge­sell­schaft drin­gend brau­chen. Aus­ser­dem pro­fi­tie­ren Städ­te und Ge­mein­den auch wirt­schaft­lich da­von, wenn sie in Kul­tur in­ves­tie­ren. Wir ha­ben in Lau­sanne ei­ne Stu­die ge­macht, die ge­zeigt hat, dass je­der in­ves­tier­te Fran­ken in die Kul­tur mehr als drei Fran­ken zu­rück­bringt in die Re­gi­on. 

Macht Kul­tur in die­sem Sin­ne ei­ne Re­gi­on at­trak­ti­ver?

Ja, ab­so­lut. At­trak­ti­vi­tät ist aber im­mer mehr­di­men­sio­nal. Sie wird tou­ris­tisch ge­dacht, um Men­schen in die Re­gi­on zu lo­cken. Aber na­tür­lich ist die At­trak­ti­vi­tät auch wich­tig für die Leu­te, die be­reits dort woh­nen. Kul­tur ist in Sa­chen Le­bens­qua­li­tät und Wohl­fühl­fak­tor ganz si­cher ein Schlüs­sel­ak­teur. Ich kann Ih­nen das an ei­nem Bei­spiel er­klä­ren, das mich sehr ge­prägt hat.

Sehr ger­ne. Wel­ches war das?

Das Kul­tur­zen­trum Le Cent­quat­re in Pa­ris. Es ist ei­ne Um­nut­zung der Stadt in ei­ner durch­misch­ten Nach­bar­schaft. Dort wer­den sehr zeit­ge­nös­si­sche Po­si­tio­nen prä­sen­tiert und da kom­men ver­schie­dens­te Pu­bli­ka zu­sam­men. Dort tauscht man Bü­cher aus, be­sucht zeit­ge­nös­si­sche Tanz­per­for­man­ces oder Kunst­aus­stel­lun­gen. Dort tref­fen sich Fa­mi­li­en aber auch ein­fach mit ih­ren Kin­dern und Freun­den, es gibt Sport­mög­lich­kei­ten und die­ses Zu­sam­men­le­ben und Zu­sam­men­brin­gen von sehr ver­schie­de­nen Ak­ti­vi­tä­ten ist si­cher ei­ne ganz gros­se Stär­ke, die die Kul­tur leis­ten kann.

Das ist Michael Kinzer

Mi­cha­el Kin­zer ver­fügt über weit­rei­chen­de Er­fah­run­gen im Kul­tur­be­reich, von der Kon­zert­pro­gram­mie­rung bis zur Lei­tung von Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen in La Chaux-de-Fonds. Er wirk­te als Di­rek­tor das Fes­ti­vals de la Ci­té in Lau­sanne und leg­te da­bei den Schwer­punkt auf die Ver­bin­dung von Kul­tur, öf­fent­li­chem Raum und ge­sell­schaft­li­chen Fra­gen. Als Lei­ter der Dienst­stel­le Kul­tur der Stadt Lau­sanne spielt er ei­ne Schlüs­sel­rol­le in der lo­ka­len Kul­tur­sze­ne.

Un­ter sei­ner Lei­tung wur­den be­deu­ten­de In­itia­ti­ven wie das Kunst­quar­tier Pla­te­for­me 10 rea­li­siert. Kin­zer setzt sich für ei­ne in­te­gra­ti­ve Kul­tur­po­li­tik ein, die so­wohl eta­blier­te In­sti­tu­tio­nen als auch freie Kul­tur­schaf­fen­de un­ter­stützt. Sein En­ga­ge­ment hat mass­geb­lich zur kul­tu­rel­len Ent­wick­lung Lau­san­nes bei­getra­gen. Aus­ser­dem ist er Prä­si­dent der Städ­te­kon­fe­renz Kul­tur. Ab Ju­li 2025 wird er Di­rek­tor der Schwei­zer Kul­tur­stif­tung Pro Hel­ve­tia.

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren gab es auch Kri­tik an sei­ner Ar­beit. Wäh­rend sei­ner Amts­zeit kam es zu ei­nem Skan­dal am re­nom­mier­ten Bé­jart-Bal­lett, bei dem Vor­wür­fe von Miss­brauch und Mob­bing laut wur­den. Kin­zer wur­de für den Um­gang mit die­ser Kri­se kri­ti­siert, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Trans­pa­renz und der Mass­nah­men zur Auf­ar­bei­tung der Vor­fäl­le. Un­ter sei­ner Lei­tung wur­de Lau­sanne im April 2022 bei den LCD Ber­lin Awards als «Best Emer­ging Cul­tu­re Ci­ty» aus­ge­zeich­net. Die­se An­er­ken­nung wür­dig­te das ge­mein­sa­me En­ga­ge­ment der Stadt Lau­sanne und Lau­sanne Tou­ris­mus für die Ent­wick­lung und För­de­rung ei­ner viel­fäl­ti­gen Kul­tur­sze­ne.

Wie schwie­rig war es für Sie in Ih­ren ver­schie­de­nen Auf­ga­ben, die­se Be­deu­tung von Kul­tur auch in die Po­li­tik zu ver­mit­teln?

In Lau­sanne gibt es ein sehr gu­tes Ver­ständ­nis von der Be­deu­tung der Kul­tur für un­ser Zu­sam­men­le­ben. Es ist hier schon vor Jah­ren ge­lun­gen, Kul­tur als et­was zu eta­blie­ren, das Teil­ha­be er­mög­licht, das für al­le Be­völ­ke­rungs­grup­pen und -schich­ten zu­gäng­lich ist und dass der Ge­sell­schaft ei­nen ganz spe­zi­el­len Wert bringt. Wenn ich auf die Schweiz ins­ge­samt bli­cke, dann se­he ich, dass die­ses Ver­ständ­nis für Kul­tur vor al­lem in den Städ­ten eher gross ist. Von al­len po­li­ti­schen Par­tei­en. Vie­le al­ter­na­ti­ve Kul­tur­pro­jek­te wur­den lan­ge auch von der po­li­ti­schen Rech­ten un­ter­stützt. 

Es gibt aber auch al­ter­na­ti­ve Pro­jek­te, die von rechts­ori­en­tier­ten Po­li­ti­kern eher kri­tisch ge­se­hen wer­den. Sie­he die Reit­schu­le in Bern zum Bei­spiel.

Das stimmt. Wenn man die Po­li­tik ge­ne­rell be­trach­tet, geht es auch um ei­ne ge­samt­ge­sell­schaft­li­che Her­aus­for­de­rung. Ich glau­be, die­ses Miss­trau­en liegt in ei­nem Miss­ver­ständ­nis be­grün­det – in ei­ner Vor­stel­lung, die das Kul­tur­schaf­fen mit dem Bild des Zir­kus ver­bin­det Das wird der Kul­tur­sze­ne je­doch nicht ge­recht. Na­tür­lich sind Künst­le­rin­nen und Künst­ler auf den Büh­nen auch Akro­ba­ten. Aber sie ste­hen auch für hoch­pro­fes­sio­nel­le, wirt­schaft­li­che Un­ter­neh­men. Die­ses Ver­ständ­nis vom Kul­tur­be­trieb als ei­nem Sek­tor von klei­nen mit­tel­stän­di­schen Un­ter­neh­men (KMU), die sich den heu­ti­gen ge­sell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen zu stel­len ha­ben, muss man im­mer wie­der be­to­nen. Lau­sanne bot da­für von An­fang an eher ein gu­tes Ter­rain.

«Na­tür­lich sind Künst­le­rin­nen und Künst­ler auf den Büh­nen auch Akro­ba­ten. Aber sie ste­hen auch für hoch­pro­fes­sio­nel­le, wirt­schaft­li­che Un­ter­neh­men.»

Michael Kinzer, Direktor von Pro Helvetia

Wenn man ein sol­ches Ter­rain noch nicht hat: Wie kann es ge­lin­gen, den Bo­den für Kul­tur bes­ser zu be­rei­ten in Po­li­tik und Ge­sell­schaft?

Es ist ein Mix aus ver­schie­de­nen Me­tho­den. Manch­mal rei­chen auch Wör­ter al­lein nicht aus. Man muss er­klä­ren, was Kul­tur ist. Sie ist nicht nur eli­tär, man fin­det sie nicht nur auf in­sti­tu­tio­nel­len Büh­nen. Kul­tur ist ein sehr brei­ter Be­griff – auch Spra­che, Gas­tro­no­mie oder Jour­na­lis­mus sind Tei­le von Kul­tur. Sich dar­über zu ver­stän­di­gen, dass die Un­ter­stüt­zung von Kul­tur sehr breit an­ge­legt ist und vie­le Be­rei­che be­trifft, das ist si­cher ein zen­tra­les Ar­gu­ment. Die spe­zi­fi­sche, tra­di­tio­nel­le Kul­tur­för­de­rung ist ei­gent­lich nur ein Teil da­von. 

Wie geht’s wei­ter, wenn man sich dar­über ver­stän­digt hat?

Man muss dann auch kon­kre­te Fak­ten bei­steu­ern kön­nen. Zum Bei­spiel zu Pu­bli­kums­zah­len und Be­su­cher­inter­es­se. Wir ha­ben zum Bei­spiel in Lau­sanne ei­ne Mil­li­on Men­schen, die in die Mu­se­en ge­hen und ei­ne Mil­li­on, die Mu­sik, Thea­ter und sons­ti­ge Büh­nen­pro­duk­tio­nen be­su­chen. Je­de Stadt ist an­ders, aber die Po­li­tik muss sen­si­bi­li­siert wer­den, dass das In­ter­es­se des Pu­bli­kums an Kul­tur sehr breit ist. Die Zah­len zei­gen, dass wir nicht von ei­ner Min­der­heit von eli­tä­ren Kunst­freun­den spre­chen, die die­se Ein­rich­tun­gen nutzt. Wir ma­chen An­ge­bo­te für ei­ne sehr brei­te Mehr­heit der Be­völ­ke­rung. 

Sie ha­ben schon das Stich­wort KMUs ge­nannt. Wird Kul­tur zu we­nig als Wirt­schafts­fak­tor ge­se­hen? 

Oft lei­der ja. Die Stu­die zu den drei Fran­ken, die man be­kommt, wenn man ei­nen Fran­ken in­ves­tiert in Kul­tur hat­te ich be­reits er­wähnt. Da­zu kommt: Man weiss, dass im Schnitt in der Schwei­zer Be­völ­ke­rung ca. sie­ben Pro­zent der Men­schen im wei­tes­ten Sin­ne in der Kul­tur­in­dus­trie ar­bei­ten. In den Städ­ten und den ur­ba­nen Zen­tren geht die­se Zahl schnell bis zu zehn Pro­zent hoch. Das ist nicht we­nig. Auch wenn man die­sen Sek­tor ver­gleicht mit an­de­ren eher tra­di­tio­nel­len Wirt­schafts­sek­to­ren, die es oft leich­ter ha­ben in der Po­li­tik.

Wie wich­tig sind em­pi­ri­sche Da­ten und be­last­ba­re Zah­len für die Über­zeu­gungs­ar­beit in der Po­li­tik?

Sehr, sehr wich­tig. Auch wenn sie nicht im­mer ge­le­sen wer­den. Al­lein die Tat­sa­che, uns dar­auf stüt­zen zu kön­nen, fin­de ich sehr wich­tig. Wie er­wähnt: Wir die­nen in der Kul­tur­po­li­tik auch der Kul­tur­sze­ne. Dar­um soll­ten wir die Sze­ne auch gut ken­nen. Zwar ver­fü­gen al­le, die wir in der Kul­tur­för­de­rung ar­bei­ten über ein gu­tes Ver­ständ­nis der Mi­lieus, aber wir über­bli­cken eben im­mer nur ei­nen Teil. Wenn man mit der Sze­ne und den Ex­per­ten vor Ort spricht, kommt es vor, dass sich Über­zeu­gun­gen als falsch her­aus­stel­len. Es gilt be­schei­den zu sein und zu ak­zep­tie­ren, dass un­se­re Über­zeu­gun­gen und un­ser Ver­ständ­nis zu­min­dest un­voll­kom­men sind. 

Schau­en wir noch­mal auf ih­re kon­kre­te Ar­beit in Lau­sanne: Wie lief die Ar­beit zwi­schen Stadt­ent­wick­lung und Kul­tur bei Ih­nen ab? 

Es gab kein fes­tes Mus­ter. Je­des Pro­jekt wur­de in­di­vi­du­ell be­trach­tet und manch­mal war es auch Zu­fall. Doch Stadt­ent­wick­lungs­pro­zes­se mit Kul­tur zu be­glei­ten ist po­li­tisch oft sinn­voll. Lau­sanne hat ak­tu­ell gros­se Bau- und Ent­wick­lungs­pro­jek­te auf dem Tisch, bei de­nen Kul­tur von An­fang an ei­ne wich­ti­ge Rol­le spielt. Bei­spiels­wei­se sol­len Fes­ti­vals ein­ge­bet­tet wer­den und klei­ne Kul­tur­lo­ca­ti­ons der Be­le­bung die­nen. 

Wel­che Rol­le spielt da­bei die Kul­tur­sze­ne vor Ort?

Ei­ne gros­se. Die Dy­na­mik der Kul­tur­sze­ne ist wich­tig. Es liegt eben nicht al­les an der Po­li­tik. Ei­ne Sze­ne, die sich mo­bi­li­siert und ein­bringt, so dass die Ge­sell­schaft und die Stadt dar­auf re­agie­ren kön­nen, ist eben­so re­le­vant. Ich wür­de al­so sa­gen: Zwi­schen po­li­ti­scher Ent­schei­dung, Dy­na­mik der Kul­tur­sze­ne und ein biss­chen Zu­fall liegt der hei­li­ge Gral, der Stadt­ent­wick­lung und Kul­tur zu­sam­men­führt. Aber all­ge­mei­ne Ant­wor­ten gibt es kaum. Man muss die ein­zel­nen Pro­jek­te be­trach­ten. 

Gibt es ein her­aus­ra­gen­des Pro­jekt Ih­rer Amts­zeit, wor­an man das bei­spiel­haft er­klä­ren könn­te?

Wenn man über ein Pro­jekt re­den kann, das ei­ne ech­ter Wei­chen­stel­lung war, dann ist es na­tür­lich das Pro­jekt «Pla­te­form 10», das neue gros­se Mu­se­ums­quar­tier in Lau­sanne. Auf dem Are­al gibt es heu­te drei Mu­se­en, die in ei­nem neu­en Quar­tier di­rekt ne­ben dem Bahn­hof in Neu­bau­ten be­hei­ma­tet sind. Sol­che Bau­pro­jek­te än­dern die gan­ze Dy­na­mik ei­nes Quar­tiers. Die Po­ten­zia­le und Re­sul­ta­te die­ses Are­als wer­den wir erst in zwan­zig Jah­ren rich­tig be­ur­tei­len kön­nen. Das ers­te Mu­se­um hat 2019 er­öff­net, die an­de­ren 2022. Die Ge­schich­te ist al­so noch sehr jung. Aber ganz si­cher ist mit die­sem Pro­jekt ein kom­plett neu­es Ka­pi­tel für die Kul­tur­po­li­tik und das Kul­tur­le­ben der Stadt ge­schrie­ben wor­den.

Was kon­kret hat das Pro­jekt ge­bracht?

Die drei Mu­se­en hat­ten im letz­ten Jahr über 400’000 Be­su­cher:in­nen, das ist deut­lich mehr als sie frü­her zu­sam­men frü­her an ih­ren je­weils ei­ge­nen Stand­or­ten ver­zeich­ne­ten. Bei sol­chen Gross­pro­jek­ten mit Stadt und Kan­ton braucht es auch prag­ma­ti­sches Den­ken: Die Be­reit­schaft, zu skiz­zie­ren, was für die Kul­tur und was für das Pu­bli­kum wich­tig ist und sich dann dar­auf zu ei­ni­gen. Man muss über den ei­ge­nen Ho­ri­zont hin­aus schau­en. Sonst ge­lin­gen kei­ne gros­sen Wür­fe.

Was Michael Kinzer in Lausanne umgesetzt hat

In Lau­sanne hat Mi­cha­el Kin­zer ver­schie­de­ne In­itia­ti­ven um­ge­setzt, um die lo­ka­le Kul­tur­sze­ne zu för­dern und zu di­ver­si­fi­zie­ren. Ne­ben dem im In­ter­view er­wähn­ten Mu­se­ums­quar­tier Pla­te­form 10 zäh­len zu sei­nen be­deu­ten­den Bei­trä­gen:

  • För­de­rung der Mu­sik­bran­che: Un­ter Kin­zers Lei­tung er­öff­ne­te Lau­sanne ei­nen Mu­sik-Hub, der als Platt­form für La­bels, Ver­trie­be und Ma­nage­ment dient. Die­ses Zen­trum zielt dar­auf ab, die lo­ka­le Mu­sik­in­dus­trie zu stär­ken und Künst­lern so­wie Mu­sik­un­ter­neh­men er­schwing­li­che Ar­beits­räu­me be­reit­zu­stel­len.
     
  • Er­öff­nung ei­nes neu­en Jazz-Clubs: Im Her­zen der Stadt wur­de ein Jazz-Club er­öff­net, der die mu­si­ka­li­sche Viel­falt Lau­san­nes be­rei­chert und als Treff­punkt für Jazz-En­thu­si­as­ten dient.
     
  • Be­reit­stel­lung er­schwing­li­cher Mie­ten für Kul­tur­be­trie­be: Kin­zer setz­te sich da­für ein, dass Kul­tur­be­trie­be in Lau­sanne Zu­gang zu be­zahl­ba­ren Miet­flä­chen er­hal­ten, um ih­re Ak­ti­vi­tä­ten nach­hal­tig durch­füh­ren zu kön­nen.

Wie ha­ben Sie sich in Lau­sanne der Sze­ne über Stu­di­en an­ge­nä­hert?

Als ich hier an­ge­fan­gen ha­be, ha­ben wir sehr schnell meh­re­re Stu­di­en auf­ge­gleist über das Wirt­schafts­sys­tem in der Mu­sik oder über die Thea­ter- und Tanz­land­schaft. Auch in den Vi­su­el­len Küns­ten ha­ben wir zwei Un­ter­su­chun­gen lan­ciert. Das Wich­tigs­te, wenn man ei­ne sol­che Stu­die ver­an­lasst, ist: Man muss auch die Über­zeu­gung und die Mög­lich­keit ha­ben, sie zu nut­zen. Schlimm sind Un­ter­su­chun­gen, die bald ir­gend­wo in der Schub­la­de ver­schwin­den und nichts dar­aus ent­steht. Man muss die Über­zeu­gung ha­ben, dass man et­was be­wir­ken kann, und man muss es wol­len. 

Was kon­kret ha­ben Sie mit Hil­fe von Stu­di­en er­reicht?

Wir ha­ben bei­spiels­wei­se für die Mu­sik­sze­ne sehr viel be­wirkt. Wir ha­ben 30 neue Pro­be­räu­me ge­schaf­fen, wir ha­ben drei neue Clubs ge­grün­det und wir ha­ben un­se­re För­der­instru­men­te neu auf­ge­setzt. Wir ha­ben neue För­der­ge­fäs­se für jun­ge Künst­ler:in­nen und auch für die Kul­tur­in­dus­trie ge­schaf­fen. Die­se Mass­nah­men stüt­zen sich zum gros­sen Teil auf Stu­di­en, die wir in Auf­trag ge­ge­ben ha­ben. So wer­den Pro­jek­te greif­bar. 

Die Stu­di­en sind das ei­ne, aber geht es nicht auch dar­um, dass Po­li­ti­ker:in­nen und Bür­ger:in­nen selbst er­le­ben müs­sen, was Kul­tur ei­gent­lich be­deu­tet?

Ab­so­lut. Das ist ein wich­ti­ger Aspekt. Was heisst es, Kul­tur zu pro­du­zie­ren und et­was dem Pu­bli­kum zu zei­gen? Es geht dar­um, die Men­schen mit­zu­neh­men und al­le Fa­cet­ten der künst­le­ri­schen Ar­beit zu zei­gen. Bei­spiels­wei­se mit Ein­la­dun­gen hin­ter die Ku­lis­sen um Ein­bli­cke zu ge­ben, wie man ein Büh­nen­bild baut, was es heisst, ei­ne Auf­füh­rung auf die Büh­ne zu brin­gen für ei­ne öf­fent­li­che Vor­stel­lung, was es heisst, in ei­nem Mu­se­um zu ar­bei­ten, was es heisst die Samm­lun­gen zu be­wir­ten. Es ist wich­tig, kon­kret zu zei­gen, was Kul­tur macht und wie sie ar­bei­tet. Wenn man nur mit Wor­ten ar­bei­tet, dann be­steht die Ge­fahr, auf ei­ner theo­re­ti­schen Ebe­ne zu blei­ben und die Men­schen nicht voll­ends über­zeu­gen zu kön­nen.

Das heisst, Kul­tur- und Kunst­schaf­fen­de müs­sen trans­pa­ren­ter wer­den in ih­rer Ar­beits­wei­se?

Ge­nau. Denn was be­deu­tet es heu­te über­haupt, Künst­ler:in zu sein? Wie ar­bei­ten die Kul­tur­schaf­fen­den über das Jahr? Wie kann man als Schau­spie­ler ei­nen Text er­ar­bei­ten, im Wis­sen dar­um, dass die Ar­beit erst ab den Pro­ben be­zahlt wer­den wird? Dann soll­te der Text im Grun­de schon sit­zen. Das Ver­ständ­nis da­für, was es wirk­lich heisst, kul­tur­schaf­fend zu sein, gilt es zu stei­gern. 

Folgt das dem Prin­zip, dass man erst dann et­was wirk­lich zu schät­zen weiss, wenn man ver­steht, un­ter wel­chen Be­din­gun­gen und nach wel­chen Kri­te­ri­en die­se Din­ge ent­ste­hen?

Ja. Das ist im Grun­de in al­len Be­rei­chen so. So­wohl in der in­ter­na­tio­na­len Po­li­tik, in der Ge­werk­schafts­ar­beit oder in ei­nem Re­stau­rant. Wenn man nicht wirk­lich ver­steht, was die Leu­te in die­sen Be­rei­chen ma­chen, wenn man Sa­chen nicht an­fas­sen und mit den Men­schen in die­sem Be­trieb nicht re­den oder Pro­zes­se selbst er­le­ben kann, dann geht et­was an uns vor­bei. Es ist ein emo­tio­na­ler Fak­tor, der sich ver­stär­ken lässt. 

«Man muss über den ei­ge­nen Ho­ri­zont hin­aus schau­en. Sonst ge­lin­gen kei­ne gros­sen Wür­fe.»

Michael Kinzer, Direktor von Pro Helvetia

Wie kann man so ein vi­sio­nä­res Den­ken, das es ja für sol­che gros­se Pro­jek­te braucht, auch in die Po­li­tik ver­mit­teln? Ge­ra­de in die­sen Zei­ten, wo es schnell heisst, da­für ha­ben wir ei­gent­lich kein Geld.

Das braucht erst­mal Zeit. Wir nah­men ver­schie­de­ne An­läu­fe und es hat nicht auf An­hieb ge­klappt. Ein Vor­gän­ger­pro­jekt am See­ufer wur­de von der Be­völ­ke­rung ab­ge­lehnt. Aus die­sem ent­täu­schen­den Re­sul­tat ent­stand ei­ne neue Chan­ce, denn der ur­sprüng­li­che Plan sah nur ei­nen Mu­se­ums­neu­bau vor. Heu­te sind es drei Mu­se­en, hin­zu kom­men wei­te­re Bau­ten, über de­ren Nut­zung noch nicht ab­schlies­send ent­schie­den wur­de. 

Was war aus­schlag­ge­bend da­für, dass die­ses Pro­jekt ge­lun­gen ist? 

Es gab ei­ne star­ke Über­zeu­gung in der lo­ka­len Po­li­tik, da­zu ge­hört auch der Kan­ton, dass die­ses Pro­jekt rich­tig und sinn­voll ist. Es braucht ein Ver­ständ­nis von der Wich­tig­keit der Kul­tur, po­li­ti­sche Cou­ra­ge, den Glau­ben an die Pro­jek­te und die Fä­hig­keit, Zwei­fel aus­zu­räu­men. 

Ein kla­res Plä­doy­er für mehr Mut in der Po­li­tik?

Ja. Manch­mal braucht es ein­fach die po­li­ti­sche Cou­ra­ge zu sa­gen, wir ge­hen die­ses Ri­si­ko ein. Denn es geht um zehn Pro­zent der Be­völ­ke­rung, die in der Kul­tur­in­dus­trie ar­bei­ten, um ei­nen wich­ti­gen Teil des Zu­sam­men­le­bens, um ei­nen wich­ti­gen Bei­trag an die At­trak­ti­vi­tät der Re­gi­on. 

 

Die­ses In­ter­view er­schien erst­mals bei thur­gau­kul­tur.ch. 

Im zwei­ten Teil des In­ter­views geht es nächs­te Wo­che um Teil­ha­be, den Un­ter­schied zwi­schen Kul­tur­för­de­rung in der Stadt und auf dem Land so­wie die Rol­le des Pu­bli­kums.

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