, 8. Februar 2019
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Für die Frauen! Für das Klima!

Sieben Personen wollen den St.Galler Ständeratssitz von Karin Keller-Sutter beerben. Vor der 
Wahl am 10. März ein Doppelgespräch mit den zwei Kandidierenden, die auf je eigene Weise für eine fortschrittliche Politik stehen: Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) und Patrick Ziltener (Grüne).

Patrick Ziltener und Susanne Vincenz-Stauffacher wollen nach Bern.

Saiten: Herr Ziltener, warum soll man Sie wählen, wo doch der Ostschweizer Ständeratssitz seit 1995 in freisinniger Frauenhand ist?

Patrick Ziltener: Die Juso hat mich ja sofort als unwählbar deklariert – völlig unabhängig von meinen Positionen, Engagements und Inhalten. Genau das ist auch den Frauen lange Zeit passiert: Man hat sie unbesehen ihrer Fähigkeiten auf ihr Geschlecht reduziert. Jetzt weiss ich, wie sich das anfühlt. Ich habe die Kandidatur vor allem aufgrund der breiten Unterstützung seitens der Grünen Frauen übernommen. Weil sie sagen: Lieber ein Mann, der etwas tut, als eine Frau, die nichts tut.

Sie würden sich also für die Frauen einsetzen, wenn Sie gewählt werden?

PZ: Absolut, denn die Gleichstellung ist ein zentraler Wert für mich. Ich verstehe die Aufregung ohnehin nicht ganz. Als die Grünen in den 80er-Jahren gegründet wurden, waren neue Geschlechterverhältnisse eines unserer wichtigsten Anliegen. Wir haben alles durchexerziert, von der geschlechtergerechten Wortwahl, der Länge der Voten bis hin zum konsequenten «Reissverschluss»-Prinzip auf Wahllisten (Frau-Mann-Frau-Mann etc.). Dass die Grünen jetzt verantwortlich gemacht werden für den geringen Frauenanteil im Ständerat, grenzt an Ironie.

Susanne Vincenz-Stauffacher: Schön und gut, aber wenn es um Fragen geht, die spezifisch uns Frauen betreffen, machen wir das ganz gerne selber. Ich fände es wunderbar, wenn Frauen und Männer paritätisch vertreten wären im Ständerat, aber das kann man nicht einfach verordnen. Dass das Geschlecht überhaupt keine Rolle spielt, lehne ich ab, ebenso wie ich es ablehne, dass das Geschlecht die Hauptrolle spielt. Es ist ein Faktor, am Ende zählen die Fähigkeiten. Ich trete aber ganz bewusst als Frau an.

Der Ständerat soll paritätisch sein, sagen Sie. Also sind Sie für die Frauenquote?

SVS: Ich war lange eine vehemente Gegnerin davon, weil ich mich nicht zur Quotenfrau machen lassen will. Das macht eine Frau ja auch angreifbar. Mittlerweile, muss ich sagen, geht mir doch alles recht langsam voran, darum kann ich mir eine Frauenquote als Übergangsregelung durchaus vorstellen. Als Mittel zum Zweck, bis Frauen in der Politik und in der Wirtschaft «normaler» und mehr weibliche Vorbilder etabliert sind.

Susanne Vincenz-Stauffacher, Jahrgang 1967, studierte an der Universität St.Gallen, ist Mutter zweier erwachsener Töchter und führt seit 1993 als Rechtsanwältin eine eigene Kanzlei in St.Gallen. Sie ist Präsidentin der Stiftung Opferhilfe St.Gallen und beider Appenzell wie auch Ombudsfrau Alter und Behinderung für die drei Kantone. Sie stand dem Spitexverein Gaiserwald vor
und war während neun Jahren bis 2014 Präsidentin der Frauenzentrale des Kantons St.Gallen. Seit September 2018 gehört sie dem St.Galler Kantonsrat an. Susanne Vincenz-Stauffacher lebt in Abtwil.

Wie steht es je in Ihrem beruflichen Umfeld, in der Justiz und an der Universität, um die Geschlechtergerechtigkeit?

SVS: In meinem Berufsleben habe ich nie Nachteile gehabt. Als ich Ende der 80er-Jahre Jus an der HSG studierte, haben in unserem Jahrgang 30 Männer und zwei Frauen abgeschlossen. Heute studiert meine Tochter an der HSG, und bei ihr ist das gar kein Thema mehr.

PZ: In der Soziologie ist die Mehrheit, fast zwei Drittel der Studierenden, weiblich. Bei den Professoren hingegen dominieren die Männer. Es gab eine Studie dazu: Was die Lohngleichheit angeht, hat die Universität Zürich ein gutes Zeugnis erhalten, aber es ist nach wie vor so, dass die Männer eher Karriere machen im akademischen Bereich. Das hat auch mit der fehlenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Ich bin darum auch für eine Quote. Es ist eher ein unschönes Mittel, aber man muss zu allen Mitteln greifen, um den gesellschaftlichen Lernprozess voranzubringen. Das bedingt aber auch einen Fahrplan, ähnlich wie in der Wirtschaft: Man muss sich konkrete Ziele setzen, und wenn diese nicht aus eigener Kraft erreicht werden, muss der Staat regulieren.

Patrick Ziltener, Jahrgang 1967, ist als Titularprofessor Dozent für Soziologie und Wirtschaftsgeschichte an den Universitäten Zürich, St.Gallen und Innsbruck (Ö). Er arbeitete von 2000 bis 2002 am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und 2003 bis 2005 mit einem Forschungsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds in Ost- und Südostasien. Von 2006 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Ziltener gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Grünen Partei St.Gallen, ist verheiratet, hat einen 14-jährigen Sohn und lebt in St.Gallen.

Einen Fahrplan haben wir auch in Sachen Klima: Bis 2050 müssen wir ambitionierte Ziele erreichen. Frau Vincenz- Stauffacher, was tun Sie fürs Klima?

SVS: Ich stehe voll hinter der Energiestrategie 2050, auch wenn sich meine Partei in Sachen CO2-Gesetz quergestellt hat. Entscheidend ist, dass man das Thema nicht isoliert betrachtet. Mit Blick auf die Wirtschaft und etwas plakativ gesagt: Man muss erträgliche Schritte machen, sprich Regeln aufstellen, die auch eingehalten werden können, damit die Firmen nicht abwandern und wir dann zwar gute Luft haben, dafür keine Arbeitsplätze mehr. Privat fahre ich unter anderem ein Elektroauto, heize auch mit Fernwärme und vermeide möglichst das Fliegen. Letzteres fällt mir aber auch leicht, da ich als Anwältin in St.Gallen geografisch gesehen einen relativ beschränkten Wirkungskreis habe. Im Gegensatz zu dir, Patrick.

PZ: Ja, das Fliegen ist wohl mein berühmter «Tolggen im Reinheft». Da ich beruflich sehr viel mit Asien zu tun habe und dort auch einen Lehrauftrag habe, muss ich ziemlich oft fliegen. Privat ist das anders: Ich habe niemals irgendeine Art von Verbrennungsmotor besessen, weder Auto noch Rasenmäher, wir heizen mit Erdwärme und bereiten derzeit den Umstieg auf Solarenergie vor. Ich habe den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter also bereits geschafft.

Warum schafft es der Rest der Gesellschaft nicht?

PZ: Was wir im Moment erleben, ist ein grosser Test mit der Frage: Sind wir eine intelligente Spezies oder nicht? Jetzt zeigt sich, ob die Menschheit Verantwortung übernehmen kann für Probleme, die sie selber verursacht. Wir werden es voraussichtlich nicht schaffen, die Klimaerwärmung auf unter zwei Prozent zu begrenzen. Weil es den Leuten noch nicht weh tut, weil man sich anstrengen muss, um das grosse Ausmass der Probleme zu verstehen. Es fehlt der Druck. Der wohl wichtigste Indikator, den wir hier in der Schweiz haben, sind die Gletscher. Ich sage darum: Geht wandern, schaut euch an, wo der Gletscher jetzt ist und wo er noch vor 40 oder 50 Jahren war!

SVS: Ich teile deinen Pessimismus nicht. In meinem Umfeld habe ich vielmehr das Gefühl, dass langsam ein Umdenken stattfindet. Als wir diesen Sommer im Toggenburg Wasser in die höher gelegenen Höfe fliegen mussten, ist das den Leuten schon ziemlich eingefahren.

PZ: Ich bin Wissenschaftler, da einigt man sich in der Regel nicht so leicht, aber jetzt ist etwas Unglaubliches passiert: In der Klimapolitik gibt es mittlerweile eine einhellige Meinung, die von tausenden von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt geteilt wird. Die Botschaft ist klar: Je später wir anfangen, desto teurer wird es. Und diese Kosten kommen so oder so, ob als Folge der Klimaerwärmung oder jetzt durch präventive Massnahmen. Nur hat die Politik einfach nicht verstanden, dass wir jetzt handeln müssen, dass Prävention günstiger ist als Schadensbegrenzung.

Die Jungen haben es kapiert: Sie streiken. Können Sie den aktuellen Klimastreiks der Schülerinnen und Schüler in aller Welt etwas abgewinnen?

SVS: Ich finde das super! Sie stehen ein für ihre Zukunft und sagen, dass sie das Handeln der Politik nicht in Ordnung finden, das ist cool. Aber ich würde mir wünschen, dass es nicht beim «Ausrufen» bleibt, sondern dass sie sich wirklich betätigen, dass sie zum Beispiel Runde Tische organisieren oder das Gespräch mit der etablierten Politik suchen.

PZ: Mich haben die Streiks ganz besonders gefreut, denn meine Politisierung hat ebenfalls in der Kantizeit begonnen. Ich war in den 80er-Jahren in einer Öko-Gruppe, damals herrschte noch der Kalte Krieg, und auch das Thema Nachrüstung war sehr brisant. Ökologie und Frieden, das waren unsere Hauptthemen. Ich kann die Jungen sehr gut verstehen und bin überzeugt, dass unsere Generation nicht gut wegkommen wird in der Geschichtsschreibung: Wir waren die, die es versäumt haben, die Weichen zu stellen, die nicht eingegriffen und zu spät reagiert haben.

SVS: Im Klimabereich vielleicht, aber nicht generell. Wenn ich zum Beispiel die Schweiz mit Spanien vergleiche, haben unsere Jungen wenigstens Arbeit. Das meine ich, wenn ich sage: Man darf ein Thema nicht isoliert betrachten. Wirtschaftlich gesehen können wir den Jungen durchaus eine Zukunft bieten, auch wenn das natürlich wenig bringt, wenn der Planet kaputt ist.

PZ: Das ist ja die Schande: Wir haben die Fähigkeiten, die Technologie und das Wohlstandsniveau, um etwas zu verändern. Wir könnten es uns leisten. Doch unsere Diplomaten in der Klimapolitik werden ausgelacht, weil sie es nicht schaffen, in der reichen Schweiz die Ziele umzusetzen. Das war für mich auch einer der Gründe, wieso ich beschlossen habe, doch noch einmal aktiv in die Politik einzusteigen. Die Bremsklötze sind nämlich nicht die Diplomaten oder die Bundesverwaltung und auch nicht der Bundesrat, sondern das Parlament. Wenn wir ernsthaft vorwärts machen wollen, brauchen wir in Bern dringend eine neue parteipolitische Zusammensetzung.

In der Öffentlichkeit nimmt man Sie aber mehr mit Ihren Positionen zum Freihandel und Ihren Verbindungen zu Asien wahr. Publikationen zum Klima sucht man vergeblich.

PZ: Das ist richtig, denn das Klima gehört nicht zu meinen Forschungsgebieten. Da bin ich kein typischer Grüner, ich sehe mich eher als ein wirtschaftsnaher Grüner. Aber auch in der Handelspolitik ist das Klima sehr relevant. Ich habe zum Beispiel eine Studie zum Palmöl gemacht, das eine grosse Rolle spielt im Freihandelsabkommen mit Indonesien. Auch für mich ist klar: Den Klimawandel können wir nur in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft bekämpfen. Es wäre verheerend, wenn wir uns entscheiden müssten zwischen funktionierender Wirtschaft und griffiger Klimapolitik. Früher war das anders, da hiess es Wirtschaft vs. Grün. Inzwischen haben beide Seiten begriffen, dass es nur Hand in Hand geht.

Kontrovers diskutiert wird auch das Rahmenabkommen mit der EU. Der Zwiespalt von Offenheit vs. Schutz der eigenen Verhältnisse zeigt sich unter anderem in der Diskussion um den Lohnschutz. Wissen Sie einen Ausweg?

SVS: Wenn ich den wüsste, sässe ich wohl nicht hier. Ich finde ganz klar, dass es ein institutionelles Rahmenabkommen braucht. Was von rechter Seite kolportiert wird – wir sind unabhängig, wir wollen keine «fremden Richter» etc. – ist schlicht illusorisch. Das Rahmenabkommen, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, ist sicher nicht das Nonplusultra, aber ein Anfang. Ich sehe darum die Lösung in der Zusammenarbeit mit der Linken, denn die Rechte ist zu stur und setzt nur auf Abschottung und Protektionismus. Bei der Frage des Lohnschutzes müsste man sich allerdings finden. Ich bin absolut für Lohnschutz, kann aber nicht verstehen, warum man diese Achttageregelung, die im übrigen schon 20 Jahre alt ist, als rote Linie deklariert, die nicht überschritten werden darf. Mit den neuen Übermittlungsverfahren gäbe es bestimmt Möglichkeiten, wie man sich auch in vier Tagen mit dem gleichen Schutzniveau anmelden kann.

Diese Debatte könnten Sie innerhalb der St.Galler Vertretung im Ständerat führen. Paul Rechsteiner ist nicht bereit, den Lohnschutz aufzuweichen.

SVS: Darum müsste man sich genau mit ihm an einen Runden Tisch setzen. Als Mediatorin habe ich gelernt, nicht nur auf das zu hören, was jemand sagt, sondern die Interessen und Bedürfnisse dahinter zu erkunden. Ich würde gerne mit ihm darüber reden, was die Linke genau will und wie man das erreichen könnte.

PZ: Ich finde es brandgefährlich, am Lohnschutz herumzuschrauben – gerade für einen Grenzkanton wie St.Gallen. Wenn wir hier leichtfertig etwas einreissen, werden wir bald eine Art von Populismus erleben, wie wir ihn bis jetzt noch nicht gekannt haben. Das Problem an der EU ist, dass sie im Kern eine riesige Liberalisierungsmaschine ist. Ihre Hauptfunktion ist es, einen Binnenmarkt zu schaffen, darin ist sie stark und dazu hat sie auch die nötigen Mittel. Schwach ist sie, wenn es um die Absicherung nationaler Schutzmassnahmen und Interessen geht. Österreich beispielsweise musste sein Schutzsystem preisgeben, weil es nicht EU-binnenmarktkompatibel war, und leidet nun unter enormen politischen Verwerfungen. Wenn der Nationalstaat der einzige beziehungsweise der letzte Verfechter sozialer Interessen ist, fördert das den Nationalismus. Das ist ein grundsätzliches Konstruktionsproblem der Europäischen Union: Es geht ihr um Liberalisierung, nicht um ein soziales Europa, darum schafft sie es auch nicht, bei der Bevölkerung eine Mehrheit zu schaffen.

SVS: Die flankierenden Massnahmen waren der EU schon immer ein Dorn im Auge. Ich werte es als Erfolg, dass wir diesbezüglich immer noch diskutieren und sie nicht einfach abgeschafft haben. Darum treiben mich auch die Vollzugsfragen so um: Warum muss man immer abblocken, statt darüber zu diskutieren, welche Wege es gäbe? Man will ja den Lohnschutz nicht aufgeben, sondern nur einen anderen Vollzug etablieren. Wir sollten in dieser Frage keine Machtpolitik, sondern Vermittlungspolitik betreiben, denn wir können es nicht riskieren, dass gewisse Firmen abwandern, weil dann Arbeitsplätze verloren gehen – dann haben wir den Populismus nämlich auch.

Eine andere schwierige soziale Baustelle in Bern ist die AHV. Wie kann sie gerettet werden, wenn die Menschen immer älter werden?

SVS: Durch die Steuervorlage 17, die Unternehmenssteuerreform III, die mit der AHV gekoppelt ist, haben wir zumindest wieder etwas Luft. Zwei Milliarden an Zusatzfinanzierung für die AHV soll uns das bringen, ich finde diesen Deal nicht schlecht.

Aber dieses Geld reicht auch nicht ewig.


SVS: Das stimmt natürlich, darum müssen wir nun strukturelle Massnahmen ergreifen, und zwar auf der Seite der Ausgaben. Dass das Rentenalter von Männern und Frauen angeglichen wird, ist ein erster Schritt. Grundsätzlich sehe ich die Lösung in der Flexibilisierung. Es gibt viele Arbeitnehmende, die sich daran stören, dass sie mit 65 aufhören müssen. Für diese Leute müsste man Anreize schaffen, um weiter zu arbeiten, natürlich in Kombination mit der zweiten Säule. Es sollte auch für Arbeitgeberinnen interessant sein, Ältere weiter zu beschäftigen oder neu anzustellen. In der jetzigen Praxis ist das noch zu teuer.

Stichwort Care-Arbeit: Wer schaut für uns, wenn wir älter werden? Wer betreut die Kinder?

SVS: Ich bin eine grosse Verfechterin der Eigenverantwortung und möchte nicht, dass zum Beispiel die Kinderbetreuung in ein institutionelles Korsett gezwängt wird. Wir sollten die Solidarität innerhalb des Familien-Netzwerks pflegen, wobei ich «Familie» im ganz weiten Sinn verstehe. Auf der anderen Seite kann es auch nicht sein, dass ausländische Frauen busweise angekarrt werden für die 24-Stunden-Betreuung älterer Menschen, und dafür unsauber entschädigt werden. Da müssen wir den Finger draufhalten.

Gibt es Vorbilder in Asien diesbezüglich, Herr Ziltener?


PZ: Nicht wirklich… In Japan zum Beispiel leben sehr viele alte Menschen, dort sucht man das Heil in der Robotik und anderen Technologie-Lösungen. Es gibt Geschirrspülroboter und funkgesteuerte Rollstühle, die den Heimweg finden sollen. Mich hat das etwas befremdet. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Roboter die Lösung sind.

Zurück in die Ostschweiz: Soll man überhaupt regional denken in Bundesbern, und wenn ja, wofür werden Sie einstehen, wenn Sie gewählt werden?

SVS: Man soll und muss, darum gibt es die Ständevertretung. Ich setze mich dafür ein, dass Dinge, die die Ostschweiz gut oder sogar noch besser als andere Regionen kann, auch weiter hier gemacht werden. Das bringt Wertschöpfung. Ein Beispiel dafür ist das Bundesverwaltungsgericht, das vor einigen Jahren nach St.Gallen geholt wurde. Dann der Innovationspark: Ich verstehe nicht, warum dieser in der Ostschweiz gescheitert ist. Ein solches Projekt wäre wichtig für die Region. Eine selbstbewusste Interessenvertretung für die Ostschweiz würde für mich auch heissen, mit dem Thurgau und den beiden Appenzell zusammenzuarbeiten, etwa bei Vorhaben im öV, die es weiterzuentwickeln gilt. Und was den Verkehr angeht, soll man die Gelder auch abholen beim Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs- fonds (NAF).

PZ: Aus grüner Sicht ist mir die öV-Anbindung ebenfalls sehr wichtig. Wir sind eine Grenzregion, einiges hat sich schon verbessert, aber der öffentliche Verkehr ist definitiv noch ausbaufähig. Es wäre aber falsch, einen Ständerat daran zu messen, wieviele Subventionen und Aufträge er oder sie aus Bern mitbringt. Man muss zuerst fragen, was wir für den Bund tun können, und erst dann, was der Bund für uns tun kann. Mein Wunsch wäre, dass St.Gallen eine viel aktivere Rolle spielt in Bern als bis anhin. Der Ständerat ist genau dieser Ort, wo das geschehen kann, wo eine Kompromissbereitschaft herrscht. Im Nationalrat ist das kaum möglich, da geht es um Polarisierung und knallharte Machtpolitik.

Welche Branchen würden Sie stärker fördern oder neu etablieren wollen in der Ostschweiz?

SVS: Wie gesagt, hätte der Innovationspark hierher gehört. Die Stadt St.Gallen hat es vorgemacht mit dem Projekt Startfeld. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man es schafft, einen gewissen Spirit in eine Stadt zu bringen. Da verkehren viele junge Menschen mit tollen Fähigkeiten, und es ist eine Freude, dass diese bei uns sind und nicht in Zürich oder sonstwo. Was die Stadt im Kleinen geschafft hat, müsste doch die Region Ostschweiz im Grösseren auch hinbekommen. Ich würde die Idee gerne nochmals aufnehmen.

PZ: Wie stehst du denn zur Steuerkonkurrenz? Deine Partei ist ja ein grosser Fan davon, St.Gallen spielt dieses Spiel nicht wirklich mit… Würdest du diesen Wettbewerb mitmachen?

SVS: Der Wettbewerb birgt ja auch Entwicklungspotenzial. Wenn man sich nicht mehr behaupten muss, besteht die Gefahr, dass man bequem wird, darum finde ich ein gewisses Mass an Wettbewerb wichtig. Aber das ist auch keine Einbahnstrasse: Wenn ständig die Steuern gesenkt werden, bleibt irgendwann kein Geld mehr übrig zum Beispiel für das kulturelle Angebot, wie wir jetzt auch in St.Gallen sehen. Darum muss man ein Mittelmass finden.

PZ: Steuerkonkurrenz ist nun mal nicht gratis zu haben. Das zeigt die Entwicklung in Luzern, wo man empfindlich an der Bildung sparen muss, weil die Steuern immer weiter gesenkt wurden.

SVS: Ein attraktives Steuerumfeld ist nicht nur für jene Unternehmen und Private gedacht, die schon da sind, sondern auch für jene, die potenziell kommen wollen. Das allein hat noch nichts mit gegenseitiger Kannibalisierung zu tun.

PZ: Ich wäre trotzdem für eine Harmonisierung der Steuern.

SVS: Mein Ziel ist eine gesunde Mischung zwischen Steuerwettbewerb und – wo sinnvoll – Harmonisierung.

Reden wir über Kultur: An welchen Orten trifft man Sie an?


PZ: Meine erste kulturelle Adresse ist Zürich. In St.Gallen besuche ich gern die Lokremise, wo ich auch schon Veranstaltungen moderiert habe. Und mit meinem Sohn gehe ich am liebsten ins Naturmuseum, das gerade bei uns um die Ecke ist. Das Programm dort finde ich toll, und es ist auch ein Ort, der dazu beiträgt, das Bewusstsein für Umweltfragen zu schärfen.

SVS: Ich bin Mitglied des Kunstvereins. Früher ist mein Mann mit unseren Töchtern ins Naturkundemuseum gegangen, das war mein freier Sonntagmorgen. Jetzt hole ich das nach. Ausserdem gehe ich gerne ins Theater, und eine kulturelle Nische, die ich besonders schätze, ist die Alte Turnhalle Engelburg.

Als die Plafonierung der Kulturgelder beschlossen wurde im Kanton St.Gallen, waren Sie noch nicht Mitglied des Kantonsrat, Frau Vincenz-Stauffacher. Trotzdem: Was halten Sie davon?

SVS: Ich habe schon einige Sparpakete mitgemacht, etwa in meiner Zeit bei der Frauenzentrale. Schlussendlich haben wir immer Lösungen gefunden, aber es ist natürlich schon so, dass man Federn lassen muss. Und es ist immer eine Frage des Masses. Offensichtlich muss der Kanton gewisse Einsparungen machen, da müssen alle Bereiche ihren Teil dazu beitragen.

PZ: Nein, das ist überhaupt nicht zwingend, sondern eine Frage der politischen Ausgestaltung. Es gäbe ganz andere Möglichkeiten – wie gesagt, könnte man etwa die Steuerkonkurrenz reduzieren. Oder mehr Staatseinnahmen generieren, was leider unpopulär ist. Das Kantonsparlament hätte theoretisch diesen Gestaltungsspielraum, nur herrschen dort momentan schlechte Mehrheitsverhältnisse. Ich frage mich sowieso, wie du es aushältst in deiner Partei…

SVS: Also mir geht es bestens. Meine Partei ist insofern liberal, als es mich darin verträgt, denn ich bin definitiv nicht die stromlinienförmige FDPlerin.

PZ: Bist du nicht einfach das soziale Feigenblatt deiner Partei?

SVS: Dieses Gefühl habe ich nicht. Ich stehe einfach für meine Überzeugungen ein.

PZ: Aber als Parlamentarierin in Bern: Glaubst du, du könntest wirklich einen Unterschied machen in der Fraktion?

SVS: Die Fraktion «umzumodeln», wäre wohl etwas gar ambitioniert. Aber genau solche Stimmen, wie ich eine bin, braucht es. Und wie gesagt: Die Grundhaltung der FDP stimmt für mich. Ich bin vielleicht in gewissen Positionen anderer Meinung, aber ich bin in der richtigen Partei.

PZ: Die Ablehnung des Klimapakets sei ein politischer Betriebsunfall gewesen bei der FDP, sagst du. Welche Massnahmen würdest du denn mittragen?

SVS: Eine Erhöhung der Flug- und Benzinpreise wäre für mich absolut vertretbar. Jetzt hat der Ständerat die Chance, das Paket neu zu schnüren, da wäre ich sehr gern dabei.

Das tönt fast so, als müsste man Sie, Frau Vincenz-Stauffacher und Herr Ziltener, gemeinsam nach Bern schicken.

SVS: Wir haben spasseshalber tatsächlich schon darüber gesprochen, das Amt im Jobsharing auszuüben.

PZ: Also ich persönlich bin ein grosser Fan von Jobsharing.

Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten. Das Interview führten Corinne Riedener und Peter Surber.

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