Beim St.Galler Kulturlokal Palace klafft ein ziemlich grosses Loch in der Kasse. Wie viele andere Veranstaltungsorte kämpft es – insbesondere seit der Corona-Pandemie – mit verändertem Ausgehverhalten, höheren Betriebskosten und sinkenden Barumsätzen. Neuerdings kommen die seit Frühling gültigen Gagenrichtlinien von Sonart, des grössten Berufsverbands der Musiker:innen in der Schweiz, hinzu. Sie sollen eine faire Entlöhnung sicherstellen. Für die meisten Konzertveranstalter:innen bedeuten sie folglich deutlich höhere Ausgaben. Im Palace drückt ausserdem eine Erhöhung der Löhne der Techniker:innen und der Festangestellten aufs Konto.
In der Summe droht dem Palace dadurch ein Defizit von rund 100’000 Franken pro Jahr – ein beträchtlicher Betrag angesichts der jährlichen Subventionen von 213’100 Franken, die es seit 2023 von der Stadt erhält (von der Eröffnung 2008 bis 2018 waren es 200’000 Franken, ab 2019 210’000 Franken, 2023 erhielt es einen Teuerungsausgleich von 1,5 %; vom Kanton kommen aktuell 82’499 Franken hinzu).
Um dieses Loch in der Kasse einigermassen zu stopfen, hatte das Palace eine Erhöhung der städtischen Subventionen um 60’000 Franken beantragt, die restlichen 40’000 will das Kulturlokal durch verschiedene Massnahmen selber kompensieren. Der Stadtrat beantragte beim Parlament «aufgrund der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten» der Stadt schliesslich eine Erhöhung um 25’000 auf 238’100 Franken, die im Budget 2025 bereits enthalten ist. Am Dienstag beriet das Stadtparlament die Vorlage – und die Debatte zeigte (einmal mehr), wie unterschiedlich die Parteien alternative Kultur bewerten.
Links-grün fordert den vollen Betrag
Die SP/Juso/PFG-Fraktion wollte mit einem Abänderungsantrag diese Kürzung rückgängig machen und forderte eine Subventionserhöhung von 60’000 Franken. Angelika Schmid-Baerlocher betonte in ihrem Votum zum einen die Notwendigkeit einer angemessenen Entschädigung von Kulturschaffenden und zum anderen die Wichtigkeit des Palace als Institution, die seit bald 20 Jahren «ein sorgfältig zusammengestelltes und vielseitiges Kulturprogramm» anbiete. Es sei ein Ort, der aktuelle gesellschaftliche, politische und kulturelle Fragen thematisiere, weit über die Stadtgrenzen hinaus Menschen anziehe und ein breites Publikum erreiche. «Es geht nicht um irgendeinen Larifari-Betrieb, der ein bisschen Kultur macht und die aktuelle Entwicklung verschlafen hat.»
«Es geht nicht um irgendeinen Larifari-Betrieb, der ein bisschen Kultur macht und die aktuelle Entwicklung verschlafen hat.»
Die Co-Fraktionspräsidentin hob die Relevanz der kulturellen Vielfalt in der Stadt hervor, unabhängig von persönlichen Vorlieben. «Es braucht nicht nur Stadttheater, Olma, Weihnachtsmarkt oder Textilmuseum. Es braucht auch einen Ort für alternative, junge und unabhängige Kultur, einen Ort wie das Palace.» Sie nahm ihre Ratskolleg:innen in die Pflicht, nicht nur jene Kultur zu unterstützen, die ihnen am nächsten sei. «Das entspricht nicht unserer Aufgabe als von der Bevölkerung gewählte Parlamentarier:innen.»
Schmid-Baerlocher verwies auch auf eine Studie, wonach jeder in die Kultur investierte Franken mehr als 3 Franken zurückbringe. Auch das Palace generiere Wertschöpfung in der ganzen Stadt, ein beträchtlicher Teil der Einnahmen fliesse an lokale und regionale Einrichtungen wie Hotels, Getränkelieferanten oder Druckereien zurück.
Die Fraktion von Grünen und Jungen Grünen stellte sich hinter den Antrag der SP/Juso/PFG-Fraktion. Es gehe bei dieser Vorlage nicht in erster Linie um die wirtschaftliche Rentabilität des Palace oder um dessen Strategie, sondern um die Garantie von Mindestgagen für Musikschaffende und letztlich auch um deren Altersvorsorge, sagte Arnold Mauchle. «Die wirtschaftliche Situation der Musikschaffenden ist prekär, nicht erst seit der Covid-Pandemie. Unsere Haltung dazu ist klar: Sie gehören anständig entschädigt, und zwar langfristig.»
Kultur habe eine Wirkung – auch eine wirtschaftliche. Das Palace sei ein Sprungbrett für lokale und nationale Künstler:innen, und darüber hinaus habe es als Kulturinstitution eine grosse Strahlkraft für die Stadt, die Region und die ganze Schweiz. Es sei den Verantwortlichen zuzutrauen, die angestossenen Strategieprozess in den nächsten Jahren so abzuschliessen, dass das Palace auch weiterhin als erfolgreiches alternatives Kulturlokal bestehen könne.
Marcel Baur sagte namens der Fraktion der Grünliberalen, dass künstlerische Arbeit wertvoll sei und einen angemessenen Lohn verdiene. Die GLP werde jedoch nur die vom Stadtrat vorgesehene Subventionserhöhung zustimmen und den Antrag der SP/Juso/PFG-Fraktion ablehnen.
SVP wollte Erhöhung vorerst befristen
Auch die SVP-Fraktion stellte sich hinter die stadträtliche Subventionserhöhung, wollte diese aber befristen. Sie stellte einen Abänderungsantrag, die Erhöhung von 25’000 Franken vorerst nur für drei Jahre, also von 2025 bis 2027, zu gewähren – ein «Appell für Eigenverantwortung, Transparenz und Fairness», wie es Donat Kuratli nannte. «Es ist wichtig, dass wir nicht einfach über den finanziellen Nachschlag befinden, sondern dass wir eine grundsätzliche Diskussion über die Rolle des Palace in unserer Stadt und die Verantwortung der öffentlichen Hand führen.» Die SVP anerkenne die Bedeutung des Palace. «Aber gleichzeitig müssen wir klar sagen: Nicht alles was kulturell wertvoll ist, kann und soll vollumfänglich von der öffentlichen Hand getragen werden.»
«Nicht alles was kulturell wertvoll ist, kann und soll vollumfänglich von der öffentlichen Hand getragen werden.»
Kuratli bezeichnete die Gagenrichtlinien als «längst überfällig», sie brächten endlich eine faire Entlöhnung. Er appellierte jedoch an die «Eigenverantwortung» des Palace – «ein zentraler Punkt». Die SVP begrüsse die angekündigten Massnahmen, um das Defizit zu verringern, «aber wir wollen Taten sehen». Die finanzielle Situation müsse sich in zwei Jahren stabilisieren. «Nur, wenn die Erfolgsrechnung nachweislich ausgeglichen ist, sind wir bereit, über eine dauerhafte Erhöhung zu sprechen», sagte Kuratli. Dies sei «ein pragmatischer Mittelweg».
Er forderte vom Palace ausserdem «Respekt und Toleranz»: SVP-Vertreter:innen seien an Podien oder anderen Veranstaltungen oder in öffentlichen Diskursen nicht selten respektlos oder gar feindselig behandelt worden. «Und trotzdem: Wir sind heute nicht hier, um nachzutreten oder uns querzustellen, im Gegenteil. Wenn wir nun Subventionen sprechen, geht es nicht nur um Finanzen, sondern auch um Haltung. Als Stadt leisten wir einen Beitrag, weil wir Kultur als Mehrwert sehen. Aber wir erwarten vom Palace ebenso einen Beitrag – zur Eigenfinanzierung, zur Verantwortungsübernahme und zum respektvollen Umgang mit allen politischen Kräften in dieser Stadt.»
Wem geht es schlechter?
Die Mitte/EVP-Fraktion und die FDP/JF-Fraktion wollten von einer Subventionserhöhung grundsätzlich nichts wissen und begründeten dies mit teilweise abenteuerlichen Argumenten. Patrik Angehrn, Präsident der Mitte/EVP-Fraktion, erinnerte daran, dass in der Betriebsrechnung der Stadt St.Gallen 2024 ein Minus von über 55 Millionen Franken resultiert habe, auch dieses Jahr werde es in dieser Grössenordnung ausfallen. «Jetzt müssen wir uns darüber unterhalten, ob es dem Palace oder der Stadt St.Gallen schlechter geht.» Die Haltung «Dörfs no bitzeli meh sii» sei aufgrund der finanziellen Schieflage der Stadt nicht mehr angebracht.
Die Künstlergagen und somit die Löhne einzelner Berufsgruppen seien unbestritten tief, eine Erhöhung wäre sinnvoll, sagte Angehrn. «Aber ganz grundsätzlich gilt: Die verschiedenen Institutionen sind primär selbst verantwortlich, wie sie den Betrieb sicherstellen. Es ist zu einfach, nur beim Staat höhere Beiträge einzufordern.» In der Vorlage stehe zudem wenig darüber, was das Palace gegen die Kostensteigerungen unternehme. Wenn Eintrittspreise oder Konsumationskosten nicht erhöht werden könnten, müssten eben andere Ertragssteigerungen oder Kostensenkungen geprüft werden. «Sparen tut weh, sowohl für die Verantwortlichen des Palace als auch für die Stadt. Aber es ist alternativlos.» Trotz aller Ausführungen liess Angehrn in seinem Votum jedoch offen, warum ausgerechnet das Palace über die Klippe springen soll, während das Parlament trotz der angeschlagenen Stadtfinanzen weiter Millionenausgaben beschliesst.
«Sparen tut weh, sowohl für die Verantwortlichen des Palace als auch für die Stadt. Aber es ist alternativlos.»
Auch Andreas Dudli von der FDP/JF-Fraktion sprach davon, es sei «finanzpolitisch derzeit nicht opportun, die Subventionen fürs Palace zu erhöhen» – dies auch vor dem Hintergrund, dass sie «erst gerade» erhöht worden seien. Speziell komme hinzu, dass Konzerte und Veranstaltungen «dieser Art» derzeit offensichtlich nicht mehr gleich nachgefragt seien wie früher. Rückgängige Zuschauerzahlen und Barumsätze bestätigten diesen Eindruck. Dudli führte aber weder aus, was genau er im vielfältigen Programm des Palace mit «Veranstaltungen dieser Art» meinte, noch schien es ihn zu kümmern, dass die gesamte Veranstaltungsbranche mit genau diesen Problemen kämpft.
Es könne nicht im Interesse der Politik sein, dieses fehlende öffentliche Interesse finanziell zu kompensieren, fuhr Dudli fort. «Auch wenn die Kultur systemimmanent immer von Subventionen abhängt, muss doch zumindest das öffentliche Interesse an einem Angebot vorhanden sein. Nimmt dieses ab, sind auch die Subventionen zu hinterfragen.» Beim Palace sei es jedenfalls «nicht der richtige Zeitpunkt», diese zu erhöhen. Vielmehr seien die Betreiber:innen des Palace «unter ökonomischen Standpunkten gefragt, Ausfälle mit geeigneten unternehmerischen Massnahmen zu begegnen». Die FDP/JF-Fraktion könne auch nicht nachvollziehen, weshalb eine Erhöhung der Ticket- oder Barpreise oder eine «Anpassung der Acts an ein reduziertes Budget» nicht in Frage kämen. Auch könnte man die Anzahl der Konzerte reduzieren und allenfalls die Vermietung an Fremdveranstalter (prüfen).
Damit argumentierte Dudli ganz nach dem Motto: Was nicht stattfindet, verursacht keine Kosten – und was kümmert es mich, wenn sich ein anderer um die Gagenrichtlinien schert. Aber bei der FDP hat das Palace seit jeher einen schweren Stand. 2007, noch während des provisorischen Betriebs, reichte die damalige Stadtparlamentarierin und späteren Stadtratskandidatin Barbara Frei ein Postulat ein, weil das Palace im Vorfeld der Abstimmung über die Videoüberwachung im öffentlichen Raum eine Podiumsdiskussion organisierte. In ihrem Vorstoss stellte sie den Betriebsbeitrag der Stadt gleich ganz infrage.
Das Loch ist kleiner, aber längst nicht gestopft
Nach einer allgemeinen Verwirrung über das Abstimmungsprozedere mit den beiden Abänderungsanträgen, die eine fünfminütige «Beratungspause» des Präsidiums nach sich zog, entschied das Parlament zunächst in einer Eventualabstimmung mit 34 zu 23 Stimmen (bei einer Enthaltung) für den Antrag der SVP-Fraktion und gegen jenen der SP/Juso/PFG-Fraktion. Bei der anschliessenden Abstimmung gegen den Antrag des Stadtrats setzte sich dieser deutlich mit 42 zu 15 Stimmen durch. In der Schlussabstimmung stimmte das Stadtparlament der Subventionserhöhung um 25’000 Franken schliesslich mit 35 zu 20 Stimmen (bei drei Enthaltungen) zu.
Damit ist das Loch in der Palace-Kasse zwar etwas kleiner, aber noch längst nicht gestopft. Welche Folgen das konkret haben wird, wird sich am Ende im Programm zeigen. Das St.Galler Kulturlokal bleibt jedenfalls in einer herausfordernden Situation. Denn in einer Branche, in der vieles im Umbruch ist und Planbarkeit für viele Akteur:innen zu einem frommen Wunsch verkommt, ist es mehr als nur ein Kraftakt, in so grossem finanziellen Umfang Gegensteuer geben zu müssen. Schweizweit hat es sich zu einem Kampf ums Überleben entwickelt. Umso wichtiger ist es, dass die öffentliche Hand trotz finanzieller Schwierigkeiten auch weiterhin eine Rolle als zuverlässiger Partner spielt – und zwar bei der Kulturszene im Allgemeinen.