, 16. November 2020
2 Kommentare

Nazi-Tattoos, lol

Deine gute Absicht ist nichts wert, wenn das Resultat Gewalt ist, sagt unsere Kolumnistin Anna Rosenwasser. «Wenn du dir drölf Swastikas auf deinen Arm tätowieren lässt, weil du *~das Symbol so faszinierend findest~*, hast du nachher trotzdem Nazi-Symbole auf deinem Körper.»

«Okay Anna, halt dich fest, gestern war ich wirklich kurz bisexuell», kündet Leroi an. Er tippt auf seinem Handy rum. «Ich hatte Barschicht, und es war dieses Metalkonzert, und oh mein Gott, der Sänger…»

Er zeigt mir das Bild eines gewaltigen Mannes, lange Mähne, mehr Bart als Gesicht, krasse Präsenz, durchdringender Blick. Ärmelloses Shirt, Arme tätowiert. «Leroi…», sage ich. «Ist er nicht heiss?!», sagt er.

«Leroi, der hat ein Hakenkreuz-Tattoo.» – «Was.» – «Da.» – «Oh. Oh fuck.»

Eine rasche Google-Bildersuche ergibt, dass dieser Mann gleich mehrere Hakenkreuze auf seinem Arm trägt. Mal in geometrischen Kurven, mal in fetten Linien, mal in Form von Tierköpfen, mit Pünktli, Pfeilen, Ornamenten. Einmal in Form von hebräischen Buchstaben.

«Fuck», sagt Leroi ein zweites Mal. Die Hotness des Sängers ist vom Tisch. Leroi fragt sich nur noch, wie das kleine Konzertlokal, in dem er arbeitet, sowas durchgehen lassen konnte. «Ist dir klar, was der Sänger von gestern für Tattoos hat?», schreibt Leroi an seinen Chef.

«lol händer das gseh?», schreibt er in den Gruppenchat seines Bar-Teams; angehängt jeweils ein Foto des besagten Arms. (Ich zuckte kurz zusammen. Ich finde nicht, dass Hakenkreuze lol sind. Büsibilder sind lol. Memes sind lol. Boomer sind lol. Nicht Hakenkreuze.)

«chill alte, das sind swastikas», heisst es im Bar-Chat, «ja gahn mal go google, isch es mega alts symbol», fügt ein anderer hinzu. Ähnlich beim Chef: «Lieber Leroy, ich kann dir garantieren: Das ist kein Hakenkreuz. Sondern ein Sanskrit.»

Ich habe nichts erwartet und wurde trotzdem enttäuscht. Leroi sieht mich etwas hilflos an. «Ich bin grad auf Wikipedia. Das ist ja wirklich ein altes Symbol.»

Und da fängt die ganze Scheisse an. Alter, ich weiss, dass das ein altes Symbol ist. Ich weiss, dass es schon seit Tausenden von Jahren auf der ganzen Welt für irgendwelche Dinge steht. Ich kann googeln. Aber ich habe auch Empathie und Hirn. Beides braucht es, um den Unterschied zwischen Absicht und Resultat zu checken.

Anna Rosenwasser, 1990 geboren und in Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Zürich. Sie arbeitet für die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und als freischaffende Journalistin. (Illustration: Lukas Schneeberger)

Wenn du dir drölf Swastikas auf deinen Arm tätowieren lässt, weil du *~das Symbol so faszinierend findest~*, hast du halt nachher trotzdem Nazi-Symbole auf deinem Körper. Sichtbar, für alle. Zum Beispiel für people of color. Oder für jüdische Menschen. Oder für Homos.

Ich muss wohl nicht aussprechen, was mit Leuten wie uns – wie mir – geschähe, hätte der Hakenkreuz-Fanclub die Sache in der Hand. Aber hey, ist ja bloss ein Symbol. Kannste nachlesen auf Wikipedia.

Das, liebe Leserinnen bis Leser, ist Privileg in Reinstform: sich aussuchen zu können, was einem ein Symbol bedeutet. Es nebenbei easy finden, was andere Leute damit verbinden könnten. Und so tun, als könnte Geschichte ignoriert werden, Identitäten ignoriert werden, Passiertes ignoriert werden.

Deine gute Absicht ist nichts wert, wenn das Resultat Gewalt ist.

Lies das nochmal.

Und fang an zu sparen für ein grosses, grosses Cover-Up-Tattoo.

2 Kommentare zu Nazi-Tattoos, lol

  • Barbey, Gabriele sagt:

    Genau! Bin froh über diesen Text. (Aber natürlich extrem unfroh, dass er nötig ist.)

  • Rezwan Secondname sagt:

    Find ich nicht. Das Symbol gab es in praktisch allen Kulturen VOR den Nazis und teils auch heute noch (Buddhismus und Asien allgemein). Eine mir bekannte (lesbische) Tättowiererin trägt es auch und gerade in der Tattoo-Szene ist es sich wieder am (r)etablieren. Auch ein Freund aus Israel trägt es (in einer Form wie es in der der Kabbala zu finden ist).

    Ich als alternativer Hippie / Punk nutze das Symbol neben einem Om als etwas positives anstatt es den Nazis zu überlassen die es weiter als Hasssymbol benutzen.

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