Vorwärts zurück zur Tauschgerechtigkeit
Was ist eine Ananas wert? Christoph Fleischmann fragt dies im Auftakt zu seinem Buch Nehmen ist seliger als geben – und gibt eine bedenkenswerte Antwort. Als junger Austauschstudent in Madurai in Südindien habe er auf dem Markt den Preis jeweils um ein paar Rupien heruntergehandelt und sich stolz gefühlt, «kein dummer Tourist zu sein». Bis er eines Abends sah, dass die Ananasverkäuferin ihr Nachtlager auf der Strasse hatte. Der Stolz schlug in schlechtes Gewissen um, er zahlte künftig den vollen Preis und kam mit der Frage trotzdem nicht klar: Warum bin ich im Wohlstand gross geworden und sie in Armut?
Christoph Fleischmann: Nehmen ist seliger als geben, Rotpunktverlag Zürich 2018, Fr. 15.-
Lernen vom Mittelalter
Die Ananas bringt den Ball ins Rollen, über Verteilungsgerechtigkeit und den Wert der materiellen Dinge nachzudenken. Ist das neue Smartphone wirklich 800 Franken wert? Und das T-Shirt aus Bangladesch bloss 5?
Antworten sucht das Buch in grossen, historisch fundierten Bögen. Fleischmann zeichnet die Geschichte des Tauschhandels seit der Antike nach und stellt fest: «Galt einst ein Handel dann als gerecht, wenn Waren gleichen Wertes oder Ware und Geld gleichen Wertes getauscht wurden, so ist diese Vorstellung abgelöst worden durch die Idee: Gerecht ist ein Handel, wenn beide Vertragspartner ihm freiwillig zustimmen – unabhängig davon, ob das gezahlte Geld dem Wert der Ware entspricht.» Der «gerechte» Preis ist demnach der, den wir zu zahlen bereit sind.
Diese kapitalistische Logik setzt nach Fleischmanns Darstellung nicht erst in der Industrialisierung, sondern bereits im Mittelalter ein – damals allerdings noch in Konkurrenz mit alternativen Modellen. Auf diese greift das Buch auf der Suche nach Tauschformen «jenseits des Kapitalismus» zurück. Dazu zählt der Autor etwa die Überlegung, Natur- und Umweltschutz sei begründet in einer Art Generationenvertrag: als Tauschgerechtigkeit zwischen den Generationen. Wer vom Gemeineigentum, wie es die Natur ist, etwas nimmt, muss etwas Gleichwertiges zurückgeben – der Handel mit CO2-Zertifikaten oder die aktuelle Zersiedelungsinitiative lassen grüssen.
Eine andere Form sind «Deals» zwischen Produzentinnen und Konsumentinnen: Die einen erfüllen bestimmte ökologische Standards, die andern zahlen den entsprechend höheren Preis dafür.
Für eine «Kapital-Allmende»
Auch beim kontroversen Thema Geld sieht Fleischmann mögliche Ansätze: «Das Ziel müsste so etwas wie eine Kapital-Allmende sein: Geld, das diejenigen sich nehmen dürfen, die damit etwas im Sinne des Gemeinwohls Vernünftiges anfangen, das aber denen mittels Steuern entzogen wird, die davon so viel haben, dass sie es investieren könnten. Kapital nicht mehr als Mittel zur privaten Bereicherung, sondern nur noch als Möglichmacher für Neues.»
«Jedem nach seinen Bedürfnissen und jeder nach seinen Kräften»: Nach diesem Grundsatz (aus Etienne Cabets Roman Die Reise nach Ikarien von 1842) könnte nach Fleischmanns Überzeugung eine zumindest etwas tauschgerechtere Welt entstehen. Viel Stoff zum Diskutieren – Gelegenheit dazu gibt es: Der Autor stellt am Dienstag im Palace sein Buch vor.
Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.