, 20. Juli 2016
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Erdogan-Spuk in der Ostschweiz

Allah mag gross sein. Der Autokrat und türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan glaubt er sei es auch. Seine Tentakel reichen schon mal bis in die Ostschweiz, zu Imamen und zum FC Wil.

Der selbsternannte Sultan vom Bosporus steht unter Beobachtung des «Forums für einen fortschrittlichen Islam». Die Aufklärungs- und Beratungsstelle ist von der in Zürich lebenden und in einer islamischen Grossfamilie in Tunesien aufgewachsenen Menschenrechtsaktivistin Saida Keller-Messahli gegründet worden.

Nach Angaben des Forums finanziert das türkische Religionsministerium 35 in der ganzen Schweiz wirkende Imame. Die Geistlichen sollen ein Predigernetz bilden, das einen konservativen Islam vertrete und regelmässig über die Freitagspredigten antiwestliche Propaganda verbreite, heisst es. Zu dem Netz, das dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan sehr nahe stehe, gehörten auch Moscheen in St.Gallen, Heerbrugg, Rickenbach bei Wil, Wattwil, Uznach, Egnach, Kreuzlingen und Bürglen. Über eine Zürcher Stiftung unterstütze die Türkei rund 50 Moschee-Vereine.

Seit 2013 habe sich die Zahl der türkischen Staatsimame in der Schweiz verdoppelt, heisst es beim «Forum für einen fortschrittlichen Islam» weiter. Wegen der aktuellen Ereignisse in der Türkei und der jüngsten Anschläge mit möglicherweise islamistischem Hintergrund sei die Beratungsstelle derzeit mit Anfragen aus der Öffentlichkeit total überlastet, sagt Keller-Messahli.

Türkischer Besitzer des FC Wil als Erdogan-Fan

2015 kaufte der milliardenschwere und international tätige türkische Bauunternehmer Mehmet Nazif Günal (MNG-Gruppe) den FC Wil, um angeblich die Super League im Schweizer Fussball aufzumischen und den Tschüttelern aus dem Fürstenland den Zugang zu den internationalen Wettbewerben zu ermöglichen. Ausser rigorosen personellen Umstellungen an der Spitze des Challenge-Clubs ist bisher aber nichts passiert.

Die Gründe des finanziellen Engagements des steinreichen Türken in der Ostschweizer Provinz sind unbekannt. Bekannt ist hingegen, dass Günal dem Bosporus-Zampano Erdogan sehr nahe steht, weil er ihm staatliche Bauaufträge, beispielsweise den Ausbau des Internationalen Airports in Istanbul, zuschanzte. Günal soll über den Autokraten gesagt haben, dass er der «zweite Atatürk» sei und «wahrscheinlich noch grösser».

Beim FC Wil weiss man über die Liaison zwischen dem Vereins-Besitzer und dem starken Mann am Bosporus nichts. Laut Club-Sprecher Parick Bitzer ist das «überhaupt kein Thema». Und der kürzlich nach zwölfjähriger Tätigkeit als FC-Präsident zugunsten des Sohnes des Clubeigentümers auf den inaktiven Posten des Vize zurückgestufte Roger Bigger weiss auch nicht mehr, als das Günal ein erfolgreicher Geschäftsmann ist mit vielen internationalen Verbindungen.

Hitler-Deutschland als positives Beispiel

Die Nähe dutzender Imame in der Schweiz zu Erdogan und die Begeisterung eines Fussballclub-Besitzers für den rücksichtslosen türkischen Machtpolitiker stimmt nachdenklich. Erdogan pöbelt nicht einfach nur, er ist ein sackgefährlicher Politiker: Anfang dieses Jahres hat er vor Medienvertretern bei der Vorstellung seiner Idee über die türkische Verfassungsreform Hitler-Deutschland als positives Beispiel für das Funktionieren eines zentralistischen Staates erwähnt.

Hier seine Worte: «Es gibt aktuell Beispiele in der Welt und auch Beispiele in der Vergangenheit. Wenn Sie an Hitler- Deutschland denken, haben Sie eines. In anderen Staaten werden Sie ähnliche Beispiele finden.»

Erdogans Büro hat nachträglich diese Aussage nicht dementiert, sondern lediglich relativiert. Es sei dem Staatspräsidenten nicht darum gegangen, Hitler-Deutschland als gutes Beispiel für das Präsidialsystem anzuführen, das ihm für die Türkei vorschwebe, hiess es dazu.

Rhetorik ist im Mund von Despoten eine gefährliche Waffe. Begriffe der Schädlings- und Krankheitsbekämpfung, aber auch Identitätsstiftendes und Mystisches gehört zur Grundausstattung. So will nach dem Putsch-Versuch Erdogan das Militär und die Verwaltung des Staates von «Viren» und «Metastasen» säubern.

Hitler schreibt in Mein Kampf: «Der Jude ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt.» Und Serben-Präsident Slobodan Milosevic sagt 1989 bei der Feier des 600. Jahrestages der Schlacht gegen die Osmanen auf dem Amselfeld im Kosovo vor rund einer Million seiner Landsleute: «Die Uneinigkeit unter den serbischen Politikern, verbunden mit einer Vasallenmentalität, trug zur Erniedrigung Serbiens und dazu bei, es minderwertig erscheinen zu lassen. So ging es über Jahre und Jahrzehnte. Heute nun sind wir auf dem Amselfeld versammelt, um zu sagen, dass das nicht mehr so ist.»

Türkei-Putsch hat Parallelen zu Röhm Putsch

Der Verdacht von Erdogans Nähe zu Hitler ist nicht einfach so von der Hand zu weisen. Der angebliche Putsch gegen ihn und seine wohl vorausgeplante Reaktion darauf mit Massenverhaftungen und Anschuldigungen erinnern sehr stark an den sogenannten Röhm Putsch, den Hitler anfangs Juli 1934 inszenierte, um die Führungsebene der nicht mehr ganz linientreuen SA zusammen mit ihrem Stabschef Ernst Röhm zu liquidieren.

Wer weiss, ob am Bosporus anstelle vom «zweiten Atatürk» nicht der zweite Adolf am Auferstehen ist? So er er derzeit mit den türkischen Akademikern umgeht, könnte man das befürchten…

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