, 10. Februar 2016
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Steiniger Weg zur Debatte

Das Internet würde ermöglichen, was uns real fehlt: die Mitsprache aller. Nur sind Onlinedebatten
 alles andere als kultiviert, besonders nach Ereignissen wie jüngst den Übergriffen in Köln. Wir haben mit Fachleuten gesprochen.

Online-Umfrage vom 12. Januar 2016 auf tagesanzeiger.ch, Screenshot: 21. Januar 2016 um 17:35 Uhr (Bilder: co)

Im Netz sind alle gleich – theoretisch. Zwar kann (noch) nicht über konkrete Vorlagen abgestimmt werden, aber gestimmt, gewählt und gevotet wird ununterbrochen. Und: Alle können mitmachen, sofern sie einen Internetanschluss und das passende Gerät haben. Insofern ist es nur logisch, dass Pioniere wie Sascha Lobo das Netz jahrelang als ultra-demokratisches Anarcho-Utopia abgefeiert haben. Mittlerweile wissen wir: Dem ist nicht so. Nicht nur. Das Internet ist auch Experimentierfeld für Geschäftsleute und Überwachungsfans aller Art oder Hort unzähliger Shitstorms und Forentrolle.

Fest steht: Online vergessen so manche ihre guten Manieren, darum gehören Hasskommentare mittlerweile so fest zum Internet wie Altherrenwitze zum Apéro. Das stellt sowohl die Betroffenen als auch die Betreiber von Onlineplattformen vor ungeahnte Herausforderungen – und darüber hinaus auch die Öffentlichkeit. Bereits seit einiger Zeit gibt es zum Beispiel News-Portale, die ihre Kommentarforen wieder geschlossen haben («Süddeutsche») oder nur unter strenger Aufsicht betreiben («Watson», «Zeit Online»).

150 Neue für ein Nazi-freies Netz

Seit letztem Sommer kann man beim Onlineportal von SRF nur noch seine Meinung abgeben, wenn man sich eindeutig identifiziert hat, mit eigenem Nutzerprofil, gültiger Emailadresse und Mobilnummer. «In den letzten Monaten wurden immer wieder Namen von Kommentatoren kopiert, um in ihrem Namen diskreditierende Meinungsäusserungen abzusondern», heisst es in der Begründung. «Dies nehmen wir nicht länger einfach so hin.» Man sei an einer qualifizierten Diskussion interessiert und wünsche sich, dass sich vermehrt auch die «leisen Stimmen» äussern. «Ehrverletzende Beiträge oder solche mit rassistischen, diskriminierenden, sexistischen, pornografischen oder gewaltverherrlichenden Inhalten sind untersagt», steht in der Nettiquette. Missbrauch werde verfolgt.

Trotz dieser scheinbar selbstverständlichen Spielregeln geht es teilweise absurd zu und her in den SRF-Foren. Dasselbe auf tagesanzeiger.ch, «Spiegel» oder «Welt» Online. Und auf Facebook werden zwar die Nippel (weibliche versteht sich) verbannt, aber dafür allerlei fragwürdige Gruppen toleriert. Hetze gegen Fremde, Falschinformationen, Aufrufe zu Gewalt: Alltag in diesem Netzwerk.

Bis jetzt konnte man Hate Speech nur melden, bei Blogs wie perlen-aus-freital.tumblr.com oder bei Facebook selber. Oder anzeigen. Seit Anfang Jahr will der Gigant nun gezielter gegen Hasskommentare im Netz vorgehen und hat zu diesem Zweck die «Initiative für Zivilcourage Online» ins Leben gerufen, auf Druck der Deutschen Regierung hin. 150 neue Mitarbeiter sollen dafür sorgen, dass das Soziale Netzwerk Nazi-frei wird, in Zusammenarbeit mit antirassistischen Organisationen und dem Justizministerium. Ziel sei es, die Gegenrede im Netz zu stärken, sagte Facebook-Cheffin Sheryl Sandberg vor den Medien. Dazu wolle man alle Werkzeuge nutzen, die «den Menschen zeigen, was Toleranz ist».

Gezielt löschen und bestrafen, das mag ein erster Schritt sein. Ohne starke Gegenöffentlichkeit wird der Extremismus aber kaum zu bekämpfen sein. Und seit «Köln» scheint die Luft von Tag zu Tag dicker zu werden. Die Foren und Netzwerke quellen über, es sind Sätze wie Ohrfeigen:

«Das Ziel ist klar: Zuerst schleichende Infiltration in unserer Gesellschaft, dann so lange das System stören, für Unruhe sorgen und gleichzeitig immer Nachschub einschleusen, bis der dekadente Westen sturmreif ist, bis er fällt. Das Ziel des Islam ist laut Koran die Weltherrschaft. (…) Quo vadis, Abendland… bald ist tiefste Nacht.»

Rodolfo Giavelottino am 12. Januar auf blick.ch. Fast 800 Likes hat er für dieses Statement kassiert.

Screenshot: 12. Januar 2016, 17:48 Uhr (Klick zum Vergrössern)

Weiter unten fragt Edith Bieri aus Hagenbuchensee: «Müssen wir jetzt mit der Pistole auf die Strasse?» 700 Likes. Und auf die Frage des Tagesanzeigers, ob Bürgerwehren «die richtige Antwort auf die Vorkommnisse von Köln» seien, antworten 3635 Personen – 57,5 Prozent der Befragten – mit «Ja, so fühle ich mich sicherer.» (Stand 19. Januar 2016).

Von bellenden Hunden zur Bürgerwehr

Die Kommentare kommen aus Moosseedorf, Häggenschwil oder Teufen, die Claqueure von überall. So wird Tag um Tag lauter mit dem Morgenstern gerasselt. Und während man sich durch die Kommentarforen quält, brennen in den Nachbarländern Durchgangszentren oder auch mal halbe Stadtteile. Das macht Angst. Man fragt sich, ob sie begründet ist, ob sich die Tonalität nach Ereignissen wie jenen in Köln tatsächlich so schlagartig verschärft oder ob man sich nur im Ekel verrennt. Man fragt sich, ob es in Bern tatsächlich bald eine Bürgerwehr geben soll. Weil eine (mittlerweile wieder gelöschte) Facebook-Gruppe das vermuten lässt, wenn sie schreibt: «Wir möchten der Stadt eine Hilfe sein in dieser schwierigen Zeit und unseren Ordnungshütern helfen, die Stadt gerade zu feierlichen Anlässen etwas sicherer zu gestalten.»

Diese Sorgen sind nicht subjektiv. Laut einer im Dezember 2015 veröffentlichten Studie des Deutschen Digitalverbands Bitkom betrachtet die Mehrheit der Internetnutzer Hasskommentare als ernstes Problem: «79 Prozent fürchten, dass sie ein Nährboden für reale Gewalttaten sein könnten. 72 Prozent sagen, solche Äusserungen tragen zu einer Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas bei.» Davon ist ein Grossteil der Ansicht, dass die Zahl dieser Botschaften «innerhalb der vergangenen zwölf Monate zugenommen hat».

Ähnliches gilt wohl für die Schweiz: «Die Vorkommnisse in Köln lösten sehr viele Kommentare aus», sagt Multimedia-Redaktor und SRF-Community Manager Konrad Weber auf Anfrage. «Wir konnten zum Teil heftigere Debatten als bisher Dagewesenes beobachten.» – «Köln bewegt, die Verunsicherung ist gross. Man spürt auf allen Seiten eine Hilflosigkeit», sagt auch Sarah Gerteis, Online-Chefin beim «St.Galler Tagblatt». «Böser» werde aber nicht kommentiert. «Die Meinungen zum Thema Flüchtlinge sind bei den Kommentierenden aller Lager schon lange gemacht, die Tonalität reicht von gehässig bis gemässigt. Wobei das Gehässige überwiegt, denn Kommentarschreiberinnen und -schreiber sind eher Menschen, die sich über aktuelle Zustände aufregen oder Angst haben, dass alles vor die Hunde geht, was sich dann auch in ihrem Beitrag niederschlägt.»

Wie beim SRF sind es auch in der Ostschweiz die Themen «Migration», «Flüchtlinge», «Islam» und «IS», die am meisten Kommentare provozieren. Allerdings gehen bei Gerteis nur etwa 50 pro Tag ein, das SRF hat um die 1000. In beiden Redaktionen werden die Kommentare einzeln gesichtet und auf die AGB überprüft. «Bei strittigen Fällen diskutieren wir im Team, ob ein Kommentar statthaft ist oder nicht», sagt Gerteis. Das SRF behilft sich zusätzlich mit einem Algorithmus. Etwa 10 bis 20 Prozent der Kommentare könnten nicht freigeschaltet werden, so Weber. Die Grenze sei dort, wo «andere Personen direkt oder andere Personengruppen indirekt angegriffen, verunglimpft oder beleidigt werden». Allerdings sei das ein Graubereich, da sich die User «darauf spezialisiert haben, ihre Worte gekonnt zu verpacken» und so die Nettiquette «auszutricksen».

Ziel: eine gepflegte Streitkultur

Gerteis schätzt, dass beim «Tagblatt» etwa einer von zehn Kommentaren wegen Rassismus, Diskriminierung oder Ehrverletzung gesperrt wird – wegen Worten wie diesen: «Raus mit dem Rattenpack. Die Merkel hat es eingebrockt. Sie soll’s auch ausfressen. Die begrapscht sicher keiner. Am besten wären Neuwahlen. Dann wäre die endlich mal weg.» Das SRF versucht solche Entgleisungen zu verhindern, indem es sich selber in die Diskussion einschaltet. «Je früher bzw. schneller wir mitdiskutieren, desto gesitteter geht es in den Kommentarspalten zu und her», sagt Weber und verweist auf seine Kollegen im Newsroom, die sich alle auch als Moderatoren betätigen. «Einfache Freischalter gibt es bei uns keine.»

Mitreden. Scheint, als sei das ein lohnender, wenn auch steiniger Weg in die Debatte. Doch hier es geht um nichts weniger als eine gepflegte Streitkultur. Oder wie Gerteis sagt: «Die Schreiberinnen und Schreiber müssen formulieren dürfen, was sie stört oder ängstigt, solange es sich nicht bloss um plumpe Verallgemeinerungen handelt, die nur zum Ziel haben, jemanden zu diskriminieren.»

Freie Meinungsäusserung. Das ist eines unserer Grundrechte und dafür haben wir einzustehen, was nicht leicht ist in dieser Zeit, wo viele Debatten böse und die Diskurse meta sind. «Köln» darf nicht nur verbrannte Asylzentren und Männer hinterlassen, die sich darüber empören, dass auch noch andere ihre deutschen Frauen in Besitz nehmen wollen. Diese Nacht müsste vielmehr den Beginn eines kollektiven Aufstands markieren, gegen die Lauten, die Schreihälse, die feindlich Gesinnten. Mit einer gemeinsamen Haltung schafft man es vielleicht, die Debatten zu kultivieren. Und irgendwann sowas ähnliches wie Demokratie zu leben – wenigstens im Netz, wo alle mitmachen können. Nicht so wie in der realen Schweiz, wo immer noch 20 Prozent der Bevölkerung alleine Demokratie machen. Das Netz ist in dieser Hinsicht wesentlich zeitgenössischer, fast schon paradiesisch.

 

«Einmal im Internet, immer im Internet»

Hans-Dieter Zimmermann, Dozent an der FHS St.Gallen, über die Chancen, Grenzen und Gefahren von Sozialen Medien in der Demokratie.

Saiten: «Das Internet» ist ein schier endloser Raum. Wo trifft man am ehesten auf Demokratie und Teilhabe am öffentlichen Diskurs?

Hans-Dieter Zimmermann: Sicher in den Sozialen Medien, sprich auf Facebook, Twitter, Instagram oder Slideshare, also an Orten, an denen sich die Leute niederschwellig und einfach austauschen können. Auf diesen Plattformen können alle selber Inhalte veröffentlichen, teilen, liken, kommentieren oder auch einfach passiv nur mitlesen.

Was bedeuten diese Sozialen Netzwerke für die Demokratie?

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass sie der Demokratie sehr förderlich sind, da sie es allen ermöglichen, an der Diskussion und am Wissensaustausch teilzunehmen. Sei es, indem man sich nur informiert, etwa auf der Website einer Gemeinde oder Partei, oder sei es, indem man sich an der Diskussion beteiligt, etwa wenn man Links teilt oder sie kommentiert. Wenn zum Beispiel aus dem Stadtparlament getwittert wird, kann man die Sitzung schweigend mitverfolgen oder direkt darauf reagieren. Das wird durchaus genutzt. Daneben gibt es die konkreten Beteiligungsprozesse, eParticipation genannt, bei denen es darum geht, Bürgerinnen und Bürger einzubinden wie zum Beispiel mit der Umfrage zum Thema Bahnhof Nord.

Wo liegen die Schwierigkeiten?


Den Umgang mit den Neuen Medien müssen wir alle noch lernen. Will heissen, verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen und sich im Sinne des Gemeinwesens zu informieren, Bedenken oder Zustimmung zu äussern. Viele kennen die digitalen Möglichkeiten noch gar nicht, unter anderem deshalb sind sie in der Gesellschaft noch zu wenig verankert. Auch die Behörden und Politiker tun sich schwer und müssen noch lernen, dass wir heutzutage Medien haben, die eine einfachere, schnellere und niederschwellige Kommunikation und vor allem auch Interaktion erlauben.

Aber nur mit jenen, die Internetzugang haben. Müsste man den nicht allen und flächendeckend ermöglichen, damit die Partizipation im Netz nicht einer Elite vorbehalten bleibt?

In der Schweiz glaube ich nicht, dass es diese Elite gibt. Die Abdeckung liegt bei etwa 98 Prozent. Grundsätzlich ist es aber definitiv so, dass der Zugang zum Internet sichergestellt sein muss, wenn Soziale Medien eine zentrale Rolle im politischen Betrieb spielen. Dazu gehört auch, dass man alle Teile der Bevölkerung anspricht, also auch ältere Menschen, Menschen mit einer Sehbehinderung oder einer anderen Muttersprache.

Die Infrastruktur wäre also da. Wenn es um das Politische geht, hält sich die Beteiligung jedoch ziemlich oft in Grenzen.

Leider. Das liegt unter anderem daran, dass viele – gerade auch junge Menschen – durchaus Hemmungen haben, in den digitalen Medien etwas zu posten oder zu kommentieren. Auch weil das unter Umständen sehr schnell die Runde machen und Leute erreichen kann, die damit gar nichts zu tun haben. Ein besonders pontierter Facebook-Eintrag kann so schnell in einem Shitstorm enden. Und mittlerweile wissen wir alle: einmal im Internet, immer im Internet. Dessen muss man sich bewusst sein.

Was ist mit den hasserfüllten, teils rassistischen Kommentaren, die nach Vorfällen wie jüngst in Köln jeweils massiv zunehmen?

Es gibt die Problematik, dass sich Menschen online zu Äusserungen hinreissen lassen, die sie so nie machen würden, wenn sie jemandem live gegenüber sitzen würden. Diese Hetzer stellen natürlich eine Gefahr dar, dürfen aber nicht der Grund sein, die Kommentarfunktionen abzuschalten. Es ist in der Tat ein schwieriges Feld, und ich bin froh, dass ich keine Foren moderieren muss. Auch weil es in vielen Fällen gar nicht so eindeutig ist, ob es sich bei einem strittigen Kommentar noch um Meinungsfreiheit oder schon um Ehrverletzung oder Rassismus handelt. Letztlich ist es immer ein Abwägen der Werte, die uns wichtig sind.

Nützt es etwas, diese Leute anzuzeigen?


Es kann dazu beitragen, wenn rassistische oder diffamierende Kommentare juristisch geahndet werden. Leider gibt es dazu aber noch kaum Rechtsprechung. Rassismus, Ehrverletzung etc. sind ziemlich abstrakte Begriffe und es ist nicht immer leicht zu entscheiden, wo die Grenze zum Strafbaren ist. Gerichtsurteile können aufzeigen, wo die Meinungsfreiheit aufhört und die rote Linie zu ziehen ist, schliesslich spiegelt ein Rechtssystem immer die gängigen Moralvorstellungen einer Gesellschaft wider.

Gibt es Untersuchungen, ob und inwiefern der Hass im Netz Auswirkungen aufs Abstimmungs- und Wahlverhalten hat?

Mir wäre keine bekannt, doch dazu müsste man einen Politologen befragen. Hypothesen gibt es sehr wohl, aber das Thema ist auch noch jung. Sicher ist, dass es bei Shitstorms oder veritablen «Hasswellen» immer wieder auch Gegenbewegungen gibt, wo dann viele sagen: Jetzt reicht es. Auch so kann man schädlichen Tendenzen einen Riegel vorschieben.

Wenn man gewisse Online-Kommentare liest und dann hört, dass wieder x Flüchtlingsheime brennen, kann man da keinen Zusammenhang herstellen?

Ganz verneinen würde ich das nicht, einen direkten Zusammenhang sehe ich aber ebenso wenig. Die Sozialen Medien sind Teil des gesellschaftlichen Mixes, man sollte sie weder über- noch unterbewerten. Wenn ich zum Beispiel an die Arabische Revolution denke, sind die Menschen ja nicht auf die Strasse gegangen, weil es Facebook gibt, sondern weil sie ein Problem hatten mit dem Regime und sich artikulieren wollten. Sie haben lediglich die Medien, die ihnen dafür zu Verfügung standen, genutzt. So ähnlich ist es auch mit Brandanschlägen: Primär sind nicht die Sozialen Medien die Auslöser, sondern Unzufriedenheit und persönliche Ressentiments.

Demnach sind Hasskommentare kein Spiegel der Gesellschaft? Nein. Häufig sind es immer wieder die gleichen, die kommentieren und sich gegenseitig hochschaukeln. Die grosse Mehrheit der User bleibt passiv, nur ein Bruchteil kommentiert aktiv. Leider werden hetzerische oder pointierte Kommentare allzu oft von den Medien aufgegriffen, und diese wiederum suggerieren, dass die darin geäusserten Meinungen für eine Mehrheit stehen. Daraus kann sich ein Teufelskreis entwickeln, deshalb muss man diesbezüglich auch an das Berufsethos der Journalisten appellieren.

Unreflektierte Kommentare könnte man auch mit Fakten bekämpfen, schliesslich war es noch nie so einfach wie heute, sich die nötigen Informationen zu beschaffen.

Das Internet ist definitiv eine tolle Informationsquelle. Aber die schiere Masse überfordert uns auch und man muss auch einen ziemlich grossen Aufwand betreiben, um die einzelnen Quellen zu verifizieren – das ist die grosse Kunst. Deshalb ist es heute so zentral, dass man bereits in der Schule Medienkompetenz lernt, insbesondere in einer Demokratie, weil Medien darin eine wichtige Rolle spielen und von den «Guten» wie von den «Bösen» instrumentalisiert werden können.

Wenn es um Informationsbeschaffung geht, hört man immer wieder von den berüchtigten Filter Bubbles, Informationsblasen, die vor allem das eigene Weltbild reproduzieren. Wie wirkt sich das auf unsere Wahrnehmung aus?

Das ist in der Tat ein Problem, da wir dadurch alle eine andere Öffentlichkeit wahrnehmen. Früher gab es eine Art Common Sense, da praktisch alle die Tageschau gesehen und in etwa die gleichen Zeitungen gelesen haben. Heute informieren wir uns zum Beispiel über die Facebook-Timeline, die uns individuell gefilterte News liefert. So haben alle eine andere Wahrnehmung dessen, was wichtig ist und passiert.

Kann man das im Abstimmungs- oder Wahlkampf ausnutzen?

Zum Teil. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, via bezahlte Werbung bestimmte Zielgruppen anzusprechen. Sponsert man einen Artikel auf Facebook, kann man präzise auswählen, welche Leute ihn in ihrer Timeline sehen sollen; zum Beispiel alle, die zwischen 18 und 25 sind, den Status «Single» angeklickt haben und sich für eine bestimmte Sportmannschaft interessieren. Diese Algorithmen kann man selbstverständlich auch für Wahlwerbung oder Abstimmungskämpfe nutzen.

Gibt es digitale Mittel oder Konzepte, die wir als Bürgerinnen und Bürger konkret in unseren demokratischen Alltag einbinden könnten?

Umfragen wie jene zum Bahnhof Nord beispielsweise können die politische Partizipation erleichtern. Ich kann mir auch vorstellen, dass man künftig per Skype an Diskussionen teilnimmt, wenn man zuhause oder im Büro nicht weg kann. Online wird offline aber nie ganz ersetzen, nur ergänzen.

Und wann kommt denn nun endlich das eVoting?


Da gibt es ja bereits einige Pilotprojekte, auch St.Gallen prüft derzeit wieder ein eVoting-System, allerdings nur für Auslandschweizer. Ich bin mir aber sicher, dass das früher oder später für alle kommen wird. Abseits der Politik, in bestimmten Berufsverbänden oder Vorständen, ist das Abstimmen per Internet längst gang und gäbe.

Hans-Dieter_Zimmermann

Dr. Hans-Dieter Zimmermann, 1962, ist Dozent für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule St.Gallen (FHSG) und beschäftigt sich unter anderem mit Electronic Commerce, eDemocracy und eParticipation sowie der Anwendung von Social Media-Konzepten in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft.

Dieser Text erschien im Februareft von Saiten.

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