, 7. Dezember 2017
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NZZ und AZ: Gegensätzliche Reaktionen

Das «St.Galler Tagblatt» und seine Lokalausgaben werden Teil eines neuen Medienkonzerns: Die bisherige Besitzerin NZZ schliesst mit den AZ Medien ein Joint Venture. Die St.Galler Regierung ist besorgt, der St.Galler Chefredaktor Stefan Schmid spricht von einer «Partnerschaft auf Augenhöhe».

«Das neue Unternehmen wird mit den Regional-Zeitungen und -Onlineportalen sowie Radio- und TV-Stationen beider Unternehmen und den Zeitschriften der AZ Medien rund 2 Millionen Personen in der Deutschschweiz erreichen. Mit knapp 500 Mio. Franken Umsatz und 2000 Mitarbeitenden wird es zu den führenden Medienunternehmen der Schweiz zählen.» So heisst es in der heute publizierten Mitteilung der NZZ-Medien.

Das neue Unternehmen umfasst rund 80 Zeitungs- und Medientitel, darunter alle Ostschweizer Titel der bisherigen NZZ-Regionalmedien. Auf einen Blick:

Zum neuen Unternehmen gehören alle Einheiten der AZ Medien mit Ausnahme von Watson. Die NZZ-Mediengruppe integriert ihr gesamtes Regionalmediengeschäft in das Joint Venture. Auch die Druckereien beider Unternehmen werden Teil davon. Sämtliche Mitarbeitenden und Führungskräfte dieser Bereiche der beiden Unternehmen gehen in das neue Unternehmen über.

Nicht Bestandteil sind die Geschäftsbereiche NZZ Medien und Business Medien der NZZ-Mediengruppe sowie die konzessionierten Radio- und TV-Sender beider Unternehmen. An der neuen Aktiengesellschaft sind die beiden Medienunternehmen zu gleichen Teilen beteiligt. Der Deal steht unter Vorbehalt der Zustimmung durch die Wettbewerbskommission.

Zukunft ohne Frauen?

«Regionalmedien leisten in der föderalistischen, direktdemokratischen Schweiz einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung. Gemeinsam gründen wir ein breit aufgestelltes, wettbewerbsfähiges Medienunternehmen, das die nötige Finanzkraft hat, um in die Zukunft zu investieren», wird Peter Wanner, Verleger der AZ Medien, in der Medienmitteilung zitiert.

Diese Zukunft traut man sich erstaunlicherweise mit einer rein männlichen Führungscrew zu: Der Verwaltungsrat soll von Peter Wanner präsidiert werden. Jörg Schnyder, derzeit Finanzchef und Vorsitzender der Unternehmensleitung a. i. der NZZ-Mediengruppe, wird Vizepräsident. Pascal Hollenstein, aktuell Leiter Publizistik der NZZ-Regionalmedien, wird publizistischer Leiter sämtlicher Zeitungstitel. Axel Wüstmann, aktuell CEO der AZ Medien, wird CEO des Joint Ventures, und Jürg Weber, derzeit Leiter der NZZ-Regionalmedien, wird stellvertretender CEO.

Ein Mantel aus dem Aargau?

Das Onlineportal zentralplus hat den Zusammenschluss kritisch kommentiert unter dem Titel «Die Chefs sitzen nun im Aargau». Fazit: «In Luzern sollte man sich warm anziehen, denn die Besetzung der wichtigsten Chefposten zeigt deutlich: Der Wind bei der Luzerner und der Zuger Zeitung bläst zukünftig aus dem Norden. Und der heisst umgangssprachlich Bise.»

Das unabhängige Hintergrund-Onlinemagazin Infosperber hatte bereits am 2. Dezember ein «Horrorszenario» für die Schweizer Zeitungslandschaft entworfen: Mittelfristig könnten nur noch drei grosse Konzerne das Nachrichtengeschäft dominieren: Ringier, NZZ-AZ und Blochers BaZ mit Somedia (Südostschweiz), Bieler Tagblatt und den bereits gekauften Gratisanzeigern. Letzte Bastionen: die Schaffhauser Nachrichten und die WoZ…

St.Galler Regierung ist besorgt

Für die Ostschweizer Tageszeitungen dürfte vor allem ins Gewicht fallen, dass der gemeinsame Mantel, den man bisher mit der Luzerner Zeitung produziert, künftig von der AZ geprägt werden dürfte. Ob damit Ostschweizer Positionen national (und für die regionale Leserschaft) noch im selben Mass wie heute zu Wort kommen, ist fraglich. So sieht es zumindest die St.Galler Regierung. In einem rasch veröffentlichen Communique kündigt sie an, zu «prüfen, ob es Massnahmen bedarf, um den regionalen Service Public sicherzustellen».

Eine starke und gut funktionierende Medienlandschaft sei für die Ostschweiz von zentraler Bedeutung, schreibt die Regierung. Aus ökonomischer Sicht sei der Entscheid verständlich; allerdings lasse die weitere Konzentration der Medienlandschaft befürchten, «dass die regionalen Bedürfnisse durch die Zentralisierung nicht mehr genügend abgedeckt werden». Dies betreffe vor allem den Mantelteil «als Sprachrohr der Ostschweiz in der übrigen Schweiz. Bei Themen und Entscheidungen auf Bundesebene ist nicht nur die korrekte Information gefragt, sondern auch die Diskussion der Auswirkungen aus Ostschweizer und St.Galler Perspektive.»

Der Entscheid passe zu einer Gesamtentwicklung, welche die Regierung bedaure. «Es ist eine Entwicklung der Konzentration und zwar weg von der Ostschweiz und St.Gallen.» Die Regierung werde prüfen, «welche Massnahmen sie allenfalls im Bereich der kantonalen Medien- und Kommunikationspolitik treffen soll, um den regionalen Service Public im Medienbereich sicherzustellen».

Chefredaktor Schmid ist optimistisch

Die Spekulation, wonach der Mantel künftig von «Aarau geprägt» sein werde, «siedelt sich im Bereich der Fake News an», hält der Chefredaktor des «Tagblatts» und seiner Lokalausgaben, Stefan Schmid dagegen. «Mir wäre diesbezüglich nichts bekannt. Fakt ist: Wir sind künftig zu dritt – Tagblatt, LZ, AZ – die sich um einen intelligenten, relevanten und unterhaltenden Mantel kümmern werden. Wer wo wie was macht, das ist nicht einmal ansatzweise entschieden. Selbstverständlich wird das Tagblatt weiterhin mit einer Ostschweizer Brille auf nationale Ereignisse blicken. Das ist heute schon so und das wird auch in Zukunft nicht anders sein.»

Konkret: Tagblatt und Luzerner Zeitung hätten eine neunköpfige Bundeshausredaktion – nicht anders als die Aargauer. Die AZ (wo Schmid zuvor selber die Inlandredaktion geleitet hat) sei zwar innenpolitisch gut – «aber manchmal sind auch wir besser». Er werde dafür kämpfen, dass der Einfluss der Ostschweiz auch künftig gewahrt bleibe.

Anders als die NZZ seien die AZ Medien ein Partner, der mit Zeitungs-Titeln in verschiedenen Kantonen und mit entsprechend verschiedenen Befindlichkeiten Erfahrung habe, der die Stadt-Land-Gegensätze kenne und regional verankert sei. Da bahne sich eine Zusammenarbeit «auf Augenhöhe» an, ist Schmid überzeugt. Gefallen sei aber erst der Grundsatzentscheid; «zuerst braucht es das Plazet der Weko, bevor Inhaltskonzepte erstellt werden können».

 

4 Kommentare zu NZZ und AZ: Gegensätzliche Reaktionen

  • Lieber Peter Surber, wie kannst Du bloss die Frauenfrage aufwerfen, wo es doch um einen absoluten irreversiblen Kahlschlag der ganzen deutschschweizerischen Presselandschaft im Sinne einer Entpersönlichung und Entregionalisierung geht! Bis vor ein paar Tagen konnte man davon ausgehen, dass dem Tamedia-Horror-Szenario mit einer zentralen Textfabrik und lauter Kopfblättern von Bern bis Zürich und Winterthur noch eine mässig personalisierte, d.h. von in den Regionen selbst lebenden, dem Publikum bekannten und geschätzten Journalisten verantwortete, auf eine Region fokussierte und unter den Bedingungen dieser Region und nach den Gebräuchen und Traditionen ebendieser funktionierende vielfältige Presselandschaft gegenüberstehe. Die NZZ, die zwar unter der Hand ebenfalls bereits Kooperationen erzwungen hatte, die beispielsweise einer schweren Kompromittierung des Bereichs Literaturkritik gleichkamen, erschien nach wie vor als der Garant einer Aufrechterhaltung dieser Pressevielfalt, die ein hohes Gut ist und dessen Wert man erst erkennen wird, wenn sie nicht mehr da ist. Jetzt aber, durch diesen Zusammenschluss von 80 Titeln in einem Konglomerat, das keineswegs nur Werbung und Layout, sondern ganz klar die Inhalte der Zeitungen bestimmen und koordinieren und damit entschärfen und generalisieren wird, muss der Glaube an ein Weiterbestehen der vielfältigen Presselandschaft Schweiz endgültig begraben werden. Das, was heute in der Presse steht, ist für alle, die an die Demokratie und die Eigenart und die Unverwechselbarkeit der Schweiz und ihrer Demokratie glauben, eine Hiobsbotschaft, wie sie schlimmer nicht sein könnte und an deren Konsequenzen noch Generationen zu leiden haben werden.

  • Paul Zuberbühler sagt:

    Lieber Peter Surber,
    Ich finde zwar die „Frauenfrage“ auch wichtig und einer Erläuterung wert – noch viel gravierender ist m.E. jedoch der drohende Demokratieverlust durch die Konzentration im Zeitungsbusiness. In diesem Sinne teile ich Ch. Linsmayers Befürchtungen eines interregionalen Einheitsbreis und kann nur hoffen, dass nicht in noch weiterer Boulevardisierung eine finanziell tragbare Lösung für die sog „Qualitätspresse“ gesucht werden wird.
    Gott sei Dank gibt es als Alternative immer noch „Saiten“!

  • Pia Ammann sagt:

    Herren Zuberbühler und Linsmeyer. Selbstverständlich ist auch hier die Frauenfrage relevant. Oder sind wir Frauen nicht Teil der Demokratie, deren Verlust sie hier bedauern? Ich frag mich eher, wie Herr Schmid vom Tagblatt alleine dafür sorgen will, dass die Ostschweiz weiterhin gut vertreten sein wird? Letzte Hoffnung: Weko!

  • Hanspeter Guggenbühl sagt:

    Wenn Stefan Schmid von einer „Partnerschaft auf Augenhöhe spricht“, muss ich lachen. Und wenn „Saiten“ diese Aussage mit der unjournalistischen Floskel „ist überzeugt“ verstärkt, folgt sie einer schlechten Angewohnheit vieler Medienschaffenden (was einer sagt, kann man zitieren, aber niemand kann wissen, ob einer glaubt, was er sagt, geschweige denn, ob er überzeugt davon ist oder sich bloss überzeugt gibt). Klammer geschlossen. Der intelligente Inlandredaktor Stefan Schmid wechselte einst vom St. Galler Tagblatt zur Aargauer AZ, weil er merkte, dass das St. Galler Tagblatt im nationalen Medienkonzert kaum gehört wird, wie er mir – mit andern Worten – mal erzählte, und weil er merkte, dass er als Chef der vereinigten Bundeshaus-Redaktion Aargauer AZ/Südostschweiz mehr Einfluss gewinnt. Nach St. Gallen kehrte er dann zurück, weil ein Aufstieg winkte – zur Nummer 2 unter Pascal Hollenstein. Jetzt aber droht ihm neuer Bedeutungsverlust, weil er unter Regie von Peter Wanners AZ fällt. Aber eben, wie Saiten schreibt: Schmid „ist überzeugt“ von einer künftigen „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Mal sehen. Denn auch auf „Augenhöhe“ kann einer den klaren Blick vernebeln.

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