, 11. November 2016
keine Kommentare

Die politische Verpflichtung

In der Sozialen Arbeit geht es um die individuelle, die zwischenmenschliche, aber auch um eine gesellschaftliche Ebene. Deshalb braucht es sozialpolitisches Engagement. Ein Gastbeitrag von Maria Pappa

Gesellschaftliches Zusammenleben beinhaltet Wandel, aber auch Problemlagen. Was als Problem oder eben als soziales Problem wahrgenommen wird, wird durch die Gesellschaft definiert und insbesondere im politischen Umfeld interpretiert. Der gesellschaftliche Wandel kann somit auch neue oder andersartige soziale Probleme zu Tage fördern.

Während sich früher Institutionen, beispielsweise die Kirchen, mit gesellschaftlichen Phänomenen und Sinnfragen befassten und Menschen aus ihrer moralischen Sicht Hilfe anboten, werden heutzutage immer mehr konfesssionsunabhängige, professionalisierte Institutionen damit beauftragt und durch Steuergelder finanziert. Ausserdem sind durch die steigende Komplexität und die pluralistischen Ströme auch immer mehr Fachleute mit fundierter und breit gefächerter Ausbildung in der Sozialen Arbeit gefragt. Die sozial tätigen Einrichtungen werden dadurch vermehrt zu Experteninnen bezüglich Entstehung und Entwicklung von sich wandelnden sozialen Problemlagen.

Alle Schuld dem Einzelnen?

Die Ursachen sozialer Probleme sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt: auf der individuellen, der zwischenmenschlichen und der gesellschaftlichen Ebene. Eine grosse Gefahr des heutigen Zeitgeistes liegt, wie auch in früheren Zeiten, darin, nach dem sogenannten Verursacherprinzip vorzugehen und die Schuldfrage auf den Einzelnen, oder anders ausgedrückt, auf den Symptomträger zu übertragen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hingegen, die soziale Probleme fördern oder gar erzeugen, werden in weiten Teilen der Gesellschaft oft ausgeblendet. Die Tatsache etwa, dass der Anteil von Alleinerziehenden (meistens Frauen) in der Sozialhilfe vergleichsweise hoch ist, ist doch gerade ein Zeichen, dass es sich hier nicht um ein individuelles, sondern um ein gesellschaftliches beziehungsweise strukturelles Problem handelt.

Soziale Arbeit hat darum die Aufgabe, die drei oben genannten Ebenen immer wieder ins Verhältnis zueinander zu setzen. Das bedeutet im Alltag, sich konkret zu fragen, welche Massnahmen auf individueller oder zwischenmenschlicher Ebene nötig respektive möglich sind, um aus der alltäglichen Not rauszukommen – und gleichzeitig auch die gesellschaftliche Verantwortung nicht zu vergessen und diese zu reflektieren. Beispielsweise die Frage, inwieweit der aktuelle (politische) Zeitgeist durch gesetzliche Grundlagen und Rahmenbedingungen ganze Bevölkerungsgruppen strukturell benachteiligt oder gar ausgrenzt.

maria

Maria Pappa, 1971, lebt in St.Gallen, ist Sozialpädagogin und war 14 Jahre im Vorstand von AvenirSocial in der Sektion Ostschweiz.
 Sie sitzt seit vier Jahren für die SP im Stadtparlament und ist Stadtratskandidatin im zweiten Wahlgang, der am 27. November stattfindet. Bild: maria-pappa.ch

Nicht selten ist die Soziale Arbeit nämlich damit konfrontiert, gesellschaftliche Verfehlungen ausbaden zu müssen. In unserer Gesellschaft ist beispielsweise der Arbeitsmarkt sehr relevant dafür, ob jemand in der Gesellschaft integriert ist und Ansehen geniesst. Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt rausfallen oder nicht die Möglichkeit haben reinzukommen, haben es nicht nur in finanzieller Hinsicht sehr schwer. Die Soziale Arbeit steht auf Grund der gesellschaftlichen Wertvorstellungen und der menschenrechtlichen Prinzipien in einem sozialpolitischen Spannungsfeld. Ihr primäres Ziel ist es, sozial belastete Mitglieder der Gesellschaft zu befähigen, die alltäglichen Herausforderungen zu bewältigen und sie dadurch in eine würdevolle gesellschaftliche Teilnahme zurückzuführen oder präventiv darauf zu achten, dass ihre Teilnahme weiterhin möglich ist. Genauso haben sozial Tätige aber auch die Verpflichtung, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu verändern, die einzelne Menschen oder Gruppierungen benachteiligen, beziehungsweise auf eine Verteilungsgerechtigkeit der Ressourcen zu achten.

Die soziale Arbeit ist drei unterschiedlichen Mandaten verpflichtet, die das Berufsfeld beinahe einzigartig erscheinen lassen und sowohl gesellschaftliche Komplexität als auch Spannungsfelder beschreiben:

Erstes Mandat

Die Gesellschaft übergibt Aufträge zur Bearbeitung von Problemen an die entsprechenden Institutionen. Die Professionellen der Sozialen Arbeit sind hier gefordert, diesen gesellschaftlichen Auftrag nicht einfach so zu übernehmen, sondern sich auch Gedanken zu machen, was nötig ist, um diese Aufgabe «ethisch korrekt» erfüllen zu können. Anderenfalls läuft die Soziale Arbeit Gefahr, sich von der Gesellschaft als Handlangerin für ethisch fragwürdige Aufgaben instrumentalisieren zu lassen.

Zweites Mandat

Die berechtigten Ansprüche der unterstützungsbedürftigen Personen stellen den zweiten Auftrag dar. Speziell in diesem Mandat ist die direkte Abhängigkeit dieser Personen von den sozial tätigen Personen. Im Gegensatz zu anderen öffentlichen Dienstleistungen sind diese Personen auf das Angebot angewiesen. Der Druck ist somit gross. Es besteht die Gefahr, dass sozial tätige Personen diese Abhängigkeit ausnützen, sei es mit alltäglichen Schikanen oder willkürlichen Sanktionen usw. Deshalb ist es umso wesentlicher, die berechtigten Ansprüche der Klienten zu achten, gleichzeitig die Menschenwürde zu respektieren und im Team sich gegenseitig zu reflektieren und zu überprüfen.

Drittes Mandat

Das dritte Mandat verpflichtet sozial Tätige, nach einem professionellen Verständnis zu handeln. Das beinhaltet nebst fachlichem Wissen auch berufsethische Aspekte. Das ganze Handeln ist legitimiert durch den Grundsatz der Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde. Zur Wahrung dieses dritten Mandates hat der Berufsverband AvenirSocial einen für die Soziale Arbeit allgemein anerkannten Berufskodex erarbeitet. Sobald im Alltag Unsicherheiten oder gewisse Spannungsfelder zwischen dem ersten und zweiten Mandat auftauchen, soll dieser Kodex unabhängig von Institutionsrichtlinien, gesellschaftlicher Aufträge und individueller Ansprüche als ethischer Richtungsweiser Orientierung geben.

Hier geht es zum Berufskodex Soziale Arbeit.
Weitere Informationen: avenirsocial.ch

Aus all dem wird deutlich, dass ein politisches Engagement innerhalb der Sozialen Arbeit unumgänglich ist. Zum Teil fehlt das gesellschaftliche Selbstverständnis, die Professionellen in der sozialen Arbeit frühzeitig als Experten in die Bearbeitung sozialpolitischer Fragestellungen miteinzubeziehen. Oft unterliegen solche Aufgaben ausschliesslich politischen Funktionsträgern oder Gremien, die nach einfachen kausalen Prinzipien verfahren, welche vor allem parteipolitische Interessen oder kurzfristige und kostengünstige Massnahmen im Fokus haben, geschehen beispielsweise bei der ALV- und IV-Revision oder auch bei der Betreuung der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden. Nicht selten werden dadurch Probleme verschoben oder verlagert, weil fachliche Kriterien fehlen, die langfristige soziale und finanzielle Folgen sowie auch ethische Überlegungen in ihrer ganzen Komplexität wahrnehmen und in der Lösungsfindung berücksichtigen.

Gelebte Menschenwürde und Achtung der Menschenrechte sind hohe Güter in einer Gesellschaft und untermauern unsere demokratischen Prinzipien, oder wie das Bonmot so schön besagt: «Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied».

Dieser Beitrag erschien im Novemberheft von Saiten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!