, 21. September 2023
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Die Bibliotheca Masonica und ihre Welten

Noch heute gibt es Verdächtigungen und Verschwörungstheorien über die Freimaurerei. Die Wirklichkeit ist nicht so abenteuerlich, aber immer noch spannend. In St.Gallen feiert die Freimaurer-Bibliothek Bibliotheca Masonica August Belz das 50-jährige Bestehen. Von Peter Müller

Von links: Adalbert Schmid, 1948, Maria Geldmacher-Belz, 1956, und Stefan Kehl, 1979 (Bilder: Sara Spirig)

Buchstadt St.Gallen? Bei diesem Stichwort denken viele an die Stiftsbibliothek und an die Bücher, die von hiesigen Büchermacher:innen und Verlagen gestaltet und herausgegeben werden. Die Bibliotheca Masonica August Belz steht da etwas im Schatten. Zu Unrecht. Sie gehört nämlich zu den bedeutendsten Freimaurer-Bibliotheken Europas, ist eine Schatzkammer, bei der noch vieles zu entdecken wäre. Eine Schatzkammer, die für Aussenstehende aber auch wie ein geistiges Labyrinth wirken kann.

Wie bei so manchem im kulturellen St.Gallen stand auch hier am Anfang eine private Initiative. Der aus Goldach stammende Industrielle August Belz (1907-1971) hatte in jahrzehntelanger Sammeltätigkeit eine umfassende Bibliothek freimaurerischer Literatur zusammengetragen. Testamentarisch vermachte er sie seiner Freimaurer-Loge Humanitas in Libertate in St.Gallen.

Die «stillen Schaffer» im Hintergrund

Die 4000 Werke bildeten den Grundstock der 1972 gegründeten Stiftung Bibliotheca Masonica August Belz (BMAB). Heute umfasst ihr Bestand rund 20‘000 Titel. Sie verdankt das dem Engagement von idealistischen Mitarbeiter:innen und den finanziellen Beiträgen von Sympathisant:innen und Sponsor:innen – und der Kantonsbibliothek St.Gallen, bei der sie ein Unterkommen gefunden hat. Wer einen Titel ausleihen will, muss sich also an diese Adresse wenden. Maria Geldmacher-Belz, die Tochter von August Belz, freut das alles enorm. Sie hofft, dass die Bibliothek auch gut durch die nächsten 50 Jahre kommt. Ein Spaziergang wird das nicht, in diesen digitalen Zeiten. Doch dazu später mehr.

Zuerst ein kurzer Blick in die Welt der Freimaurerei. In ihrer heutigen Ausprägung entstand sie im 18. Jahrhundert, und der Blick auf sie wird bis heute von allerlei Vorurteilen getrübt. Sie reichen von der dubiosen Geheimgesellschaft bis zur Weltverschwörung. Schaut man das Ganze nüchterner an, könnte man sagen: Die Freimaurerei ist eine spirituell-philosophische, aufklärerisch-humanistische Alternative zu den gängigen Konfessionen – ob katholisch, evangelisch oder christ-katholisch. Aber auch eine Alternative zu den geistigen Angeboten unserer globalisierten Gegenwart – von Buddhismus bis Schamanismus.

In der jüngsten Zeit hat sich die Freimaurerei auch in St.Gallen um Öffnung nach aussen bemüht. Eine gewisse Distanz wird aber bleiben, gehört dazu, gerade in diesen hektischen und umtriebigen Zeiten, wo viel zu viel «öffentlich» ist und personenfixiert. Vor allem die älteren Freimaurer halten sich noch heute gern im Hintergrund und wirken gern von dort, als «stille Schaffer» sozusagen. Und zu den Ritualen der Freimaurer:innen sind längst detaillierte Informationen greifbar – analog wie digital. Wenn man sie wirklich verstehen will, muss man sie aber erleben, muss Teil davon sein.

Eine reine Männerwelt ist die Freimaurerei übrigens nicht mehr. Für die Frauen war sie lange Zeit verschlossen, dann kam es zu einer gewissen Öffnung. Es gibt in der Schweiz inzwischen sogar eine feminine Grossloge und gemischte Logen. Erstere wird von der Grossloge Alpina anerkannt, letztere nicht. In den St.Galler Logen sind keine Frauen in den Ritualen zugelassen, bei Konferenzen und Vorträgen teilweise schon.

Wie wird man bekannter?

Der weite Horizont der Freimaurerei zeigt sich eindrücklich, wenn man im Depot der Kantonsbibliothek St.Gallen den Regalen der Bibliotheca Masonica entlang geht. Da gibt es Titel von Freimaurerei, Mystik und Alchemie bis zu Kabbala und Psychologie. Es gibt eine grosse Anzahl seltener und wertvoller Bücher, darunter Erstausgaben, historische Drucke und limitierte Auflagen. Es gibt eine umfangreiche Auswahl an freimaurerischen Zeitschriften und periodischen Veröffentlichungen. Dazu kommen Schriften von den Gegnern der Freimaurerei, die Palette reicht vom Vatikan bis zu den Pamphletisten und Esoteriker:innen der Gegenwart. Manches von alledem sind Kopien von Büchern oder Archivalien, an die man sonst nur schwer herankommt, weil sie in Privatarchiven irgendwo in der Welt untergebracht sind.

Die Bibliotheca Masonica ist damit auch ein wichtiger Ort für Forschung. Oder wäre es, wie Freimaurer Adalbert Schmid meint, der die Bibliothek sehr gut kennt. Die gut 20‘000 Titel würden wertvolles Material für Masterarbeiten, Dissertationen oder anderweitige Forschung bieten. Da sind sich die Insider einig. Nur: Wie sensibilisiert man potenzielle Nutzer:innen dafür? In unserer umtriebigen und schnelllebigen, aufmerksamkeits- und konkurrenzgetriebenen Zeit ist das keine einfache Aufgabe.

50 Jahre Bibliotheca Masonica August Belz – Ausstellung in der Kantonsbibliothek Vadiana St.Gallen: 20. September bis 6. Oktober bmab.ch

Das heisst natürlich nicht, dass die BMAB keine Nutzer:innen hat. Zu ihnen gehören neben Freimaurer:innen auch Wissenschaftler:innen oder Theolog:innen, Journalist:innen oder allgemein Interessierte. Nicht alle konsultieren die Bibliotheca Masonica dabei bewusst. Sie realisieren erst mit dem Blick auf den Bibliotheksstempel: «Das ist etwas Besonderes.» Titel, die älter als 100 Jahre sind, kann man allerdings nur im Lesesaal anschauen. Die Genehmigung für eine Heimausleihe gibt es nur in Ausnahmefällen.

St.Gallen, Zürich und Trogen

Wie vergrössert die Bibliotheca Masonica ihre Bestände? Sie macht das im Wesentlichen über drei Kanäle: Bestände anderer Freimaurer-Logen, Nachlässe von Mitbrüdern und den jährlichen Anschaffungskredit. Vor allem die angebotenen Bücherschenkungen sind heute recht aufwändig. Man muss genau prüfen, was man schon im Regal hat, was wirklich wichtig und wertvoll ist.

Eine grosse Bereicherung war 2018 der Erwerb des Nachlasses von Hans-Detlef Mebes (1938–2017), eines deutschen Freimaurer-Forschers internationalen Ranges. Mit diesem Bestand, der 170 grosse Zügelkisten umfasste, ist die BMAB definitiv auf dem Weg zur Forschungsbibliothek. Solche Bemühungen glücken allerdings nicht immer. Adalbert Schmid findet es noch heute schade, dass die Verhandlungen mit Oskar Rudolf Schlag (1907-1990) zu keinem Ergebnis kamen. Der Psychotherapeut vermachte seine 26‘000 Titel schliesslich der Zentralbibliothek Zürich.

Umso wichtiger ist für die BMAB eine Partnerbibliothek in der Region: die Collectio Magica Occulta, die sich heute in der Kantonsbibliothek Trogen befindet. Sie umfasst unter anderem Literatur zu den Illuminaten, zu östlichen Weisheitslehren und zu Gruppierungen, die nicht der Vereinigten Grossloge von England unterstehen. Damit ergänzen sich die beiden Bibliotheken optimal. Und natürlich seien beide Kataloge inzwischen online, sagt Stefan Kehl, Präsident der Stiftung BMAB, der eigentlichen Trägerschaft der Bibliothek.

Das Buch wird bleiben

Mit welcher Agenda geht die Bibliotheca Masonica in ihre nächsten 50 Jahre? Zentral sind der weitere Ausbau der Sammlung und die Erweiterung des Freundeskreises. Er wurde 1978 gegründet und hat die Aufgabe, die Bibliothek mit regelmässigen Zuschüssen zu fördern. Ein weiteres Ziel ist es, die Bibliothek durch den Einsatz digitaler Technologien und Online-Ressourcen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dazu gehört auch, dass sie Forscher:innen weltweit zur Verfügung steht.

Im Gespräch mit Stefan Kehl, Adalbert Schmid und Maria Geldmacher-Belz kommt man dabei unweigerlich auf die Zukunft des Mediums Buch. Alle drei finden, dass das gedruckte Buch etwas in der Defensive sei. Den digitalen Medien habe es aber immer noch einiges voraus: von der haptischen, lebendigen Begegnung bis zur konzentrierten, fokussierten Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Der digital beschlagene Stefan Kehl bringt es auf den Punkt: «Unglaublich viel ist heute digital, ist sozusagen mit einem Fingerschnippen präsent. Toll, ja. Nur: Es ist ebenso schnell auch wieder weg. Beim gedruckten Buch ist das anders.»

Und die Freimaurerei selbst: Wie steht es um ihre Zukunft? Die drei Logen in St.Gallen sind nicht gefährdet, meinen die drei Interviewten. Mit dem Nachwuchs könnte es aber doch besser bestellt sein. Und auch beim Bewusstsein für die Bibliotheca Masonica gibt es Optimierungspotential. Selbst jüngere Freimaurer:innen sind eher digital unterwegs als analog. So ist das eben. Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.

 

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