, 29. August 2018
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Der Karl May der Naturheilkunde

Die Legende vom «Schwarzen Adler»: Wie der Teufner Naturarzt Alfred Vogel dank dem Roten Sonnenhut – Echinacea purpurea – zum Pionier der Pflanzenmedizin wurde. von Hanspeter Spörri

Echinacea. In Grippezeiten schluckt die Hälfte meiner Bekannten zur Vorbeugung oder erhofften schnelleren Heilung Tropfen und Tabletten mit dem Extrakt aus dem Roten Sonnenhut – meistens Präparate aus dem Hause Bioforce. Das Roggwiler Unternehmen wurde von Alfred Vogel (1902 – 1996) gegründet.

An Alfred Vogel erinnere ich mich lebhaft: ein quirliger Mann, klein, drahtig, wach, schlagfertig, extrovertiert, charismatisch. Ein Geschichtenerzähler, der mich an Karl May erinnerte. Einmal hörte ich ihm um 1970 in der Appenzeller Stube des Café Spörri in Teufen zu, wie er die vegetarische Ernährung als Schlüssel zur Gesundheit pries. Dann bestellte er Kalbsrahmschnitzel Pêche Melba, eine Spezialität des Hauses.

Er war kein Dogmatiker, ein Mann mit Widersprüchen. Im geschäftlichen und privaten Alltag diente ihm beispielsweise die Nähe zu den Jehovas Zeugen. Viele seiner zuverlässigen Mitarbeiter gehörten zu dieser Religionsgemeinschaft. Er selbst erwies sich in Diskussionen, deren Zeuge ich wurde, eher als spirituell interessierter Freigeist.

Immer, wenn ich in einer Drogerie die Werbung für A. Vogels Echinaforce sehe, kommt mir dieser Alfred Vogel in den Sinn, und ich sehe ihn wieder mit meinem Naturarzt-Onkel Alfred Sigrist über Heilpflanzen und Homöopathie fachsimpeln. Dabei mitzuhören war eines der Highlights meiner Kindheit.

Auch seine Schriften waren mir früh vertraut, vor allem die monatlich erscheinenden «Gesundheits-Nachrichten», die sich in meinem Elternhaus stapelten. Dank e-periodica.ch lassen sich nun alle Ausgaben ab Jahrgang 1941 nachlesen. In der August-Ausgabe 1947 taucht erstmals die Echinacea auf. Vogel schildert, wie er einem Patienten mit einer trockenen Blutvergiftung an der rechten Hand eine Einspritzung mit homöopathischen Dosen von Lachesis und Echinacea verabreichte, «zwei der besten Mittel gegen diese Blutvergiftung».

Marke und Mythos

Laut Schweizerischem Handelsamtsblatt liess Alfred Vogel am 22. März 1954 das Frischpflanzen-Präparat aus Echinacea purpurea unter der Fabrik- und Handelsmarke «Echinasan» eintragen. Am 15. November 1955 liess er zudem den Markennamen Echinaforce schützen. Echinasan und später Echinaforce wurden immer wieder in den «Gesundheits-Nachrichten» beworben, so 1955: «ein Produkt aus der Echinacea, einer giftfreien Pflanze, die in letzter Zeit stark in den Vordergrund getreten ist, weil sie hervorragende Kräfte enthält, die man früher nicht gekannt hat. Bei allen Infektionskrankheiten mit fieberhaften Erscheinungen wirkt Echinasan, innerlich eingenommen, wunderbar.»

Nach und nach entstand ein Mythos: «Bei meinem Besuch in Mexico habe ich mir manche Beobachtung zunutze gemacht», schreibt Vogel im gleichen Jahr: «Da ist besonders eine Pflanze, die in Mexico viel vorkommt und den Eingeborenen nicht unbekannt ist, die eine gewisse Rolle spielt. Es handelt sich um die Echinacea, die schon vor Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der Fachleute in Europa und anderen Kontinenten auf sich gezogen hat.»

Vogel schildert, wie er sich selbst beim Mähen eine Wunde am Fuss zugefügt hatte und – statt wie sonst in solchen Fällen die Wunde mit seinem Milchsäurepräparat Molkosan zu desinfizieren – einen mit Echinaceatinktur getränkten Wattebausch auf die blutende Wunde legte, ferner im Garten frische Echinaceablätter abzupfte und darüber legte, das Ganze dann mit Gaze verband. Entgegen der sonstigen Erfahrungen habe er fast keine Schmerzen verspürt. «Ich muss gestehen, dass mich die erfreulichen Erfahrungen mit dieser Pflanze sehr begeisterten und bin überzeugt, dass die Heilstoffe, die uns diese Bewohnerin subtropischer Gegenden liefert, in der biologischen Medizin noch eine grosse Rolle spielen werden. Erfreuend ist natürlich auch die Tatsache, dass Echinacea nicht nur in subtropischen Gebieten, sondern auch bei uns gedeiht. Bereits habe ich in Teufen, wie auch im Engadin eine Kultur angelegt, die sich sehr gut entwickelt.»

Geschichten und Geheimnisse

1964 schildert Alfred Vogel eine Begegnung mit dem Indianerhäuptling Black Eagle einige Jahre zuvor. Er habe dem bedrückten Manne «den Wendepunkt der heutigen Zeit» erklärt: «Als er den Sinn der göttlichen Verheissung, für Menschen guten Willens ein Friedensreich zu schaffen, in dem weder nationaler Stolz noch Hass mehr entzweiend wirken können verstand, huschte ein frohes Leuchten über sein bekümmertes Gesicht.» Von Echinacea war im Text nicht die Rede.

1973 berichtet Alfred Vogel von seiner jüngsten Reise im wilden Westen der USA, wo er erneut mit der Echinacea in Berührung gekommen sei, diesmal mit der schmalblättrigen Echinacea angustifolia, die dank ihrer langen Pfahlwurzel von ungefähr einem halben Meter grosser Hitze und Trockenheit standhalten könne. Nun führt Vogel auch seine Quelle ein: «Erst vor einem Jahr starb der beinahe 90 Jahre alte Sioux-Häuptling namens Black Eagle, was ich zu Recht bedauerte, war er doch ein Kenner und Vertreter alter indianischer Kulturgüter. Dies auch auf dem Gebiet der Pflanzenheilkunde, weshalb es mir vor Jahren gelang, mir durch ihn wertvolle Kenntnisse über pflanzliches Wissen und indianische Heilmethoden anzueignen.»

Vogel wusste, dass Geschichten und Geheimnisse auch für das Geschäft wichtig waren. 1980 berichtete er unter dem Titel «Das Geheimnis des Schwarzen Adlers»: «Es war kein wirklicher Adler, den man so benannt hatte, sondern ein alter, indianischer Häuptling. In englischer Sprache hiess er demnach ‹Black Eagle›. Einst war er ein strammer Führer seiner Sioux-Indianer. Als ich ihn jedoch vor 30 Jahren in Süd-Dakota besuchte, war er bereits über 80 Jahre alt, von den Seinen als Häuptling aber noch immer geschätzt. Vieles wusste er von der bewegten Vergangenheit seines Stammes zu erzählen.»

Alfred Vogel in den 50er-Jahren mit Häuptling Black Eagle. (Bild: avogel.ch)

Während die meisten Indianer ihr Erfahrungswissen und ihre Geheimnisse höchstens nahen Verwandten anvertraut hätten, sei dieser betagte Mann ihm gegenüber aufgeschlossen gewesen. Von einer besonders heilwirkenden Pflanze habe er viel zu erzählen gewusst: «Er verriet mir, dass sie bei allen Infektionen und Entzündungen erstaunlich wirksam sei. Auch gegen Blutvergiftungen und septische Fieber, ja sogar gegen Schlangengifte bot sie erfolgreich ihre Hilfe dar. Ihr botanischer Name lautet Echinacea.»

Der betagte Häuptling habe natürlich keine Ahnung gehabt, wem er da sein Geheimnis offenbare: «Für meine Pflanzenkenntnisse handelte es sich jedoch um eine wünschenswerte Bereicherung, und durch all die vielen, günstigen Heilerfahrungen, die ich inzwischen mit dieser wertvollen Pflanze sammeln konnte, bin ich noch heute dem alten Manne für seine freigebige Aufgeschlossenheit von Herzen dankbar.»

Alfred Vogel berichtet weiter, dass es ihm gelungen sei, diese vorzügliche Heilpflanze durch Samen zu ziehen und zu vermehren. Wenn Ende Juni bis Ende August ein ganzes Feld dieser Echinacea-Pflanze blühe, sei dies ein wunderschöner Anblick. Hunderte von grossen, margeritenartigen Blüten leuchteten dann purpurrot und schmückten den Heilpflanzengarten auf eigenartig schöne Weise. Die Tinktur, die er aus Blättern, Blüten und Wurzeln herstelle, nehme er selber seit 30 Jahren morgens und abends regelmässig als Vorbeugungsmittel ein. Seitdem leide er eigentlich nicht mehr unter Katharren. Im südamerikanischen Urwaldgebiet sei er trotz vieler Mückenstiche nie an der berüchtigten Malaria tropica erkrankt.

Wahrheit und Legende

Ich war ein Leben lang unsicher, wie wahr Vogels wortreiche Erzählungen sind. Er schrieb keine wissenschaftlichen Werke. Seine Aussagen sind meistens unbelegt und nicht überprüfbar. Sieben Jahre nach Alfred Vogels Tod enthüllte 2003 eine dänische Bioforce-Mitarbeiterin, dass der Indianer auf dem häufig publizierten Bild neben Alfred Vogel in Tat und Wahrheit Ben Black Elk geheissen habe. Sie traf dessen Enkelin im Reservat der Lakota-Indianer und stiess auf eine Natursicht, die jener Alfred Vogels ähnlich sei.

Mit seinem unternehmerischen Genius, seinem Erzähltalent, Witz und Charisma, seiner Ausdauer, Hartnäckigkeit und Selbstsicherheit hat Alfred Vogel wesentlich zur Förderung der Naturheilkunde beigetragen. Manches von dem, was er propagierte, gilt heute noch. In einer der frühen Ausgaben der «Gesundheits-Nachrichten» publizierte er 1941 eine Zusammenstellung von guten Nahrungsmitteln, «die in genügenden Mengen zur Verfügung stehen, ohne dass man seine Rationierungskarten beanspruchen muss.» Schon damals empfahl er den biologischen Landbau, warnte vor giftigen Spritzmitteln wie Bleiarseniat, Carbolineumpräparaten, Teer- oder Kupferprodukten, die eine Gefahr für das Gleichgewicht der Mikroorganismen in der Erde seien – und riet zur Verwendung des Bioforce-Düngers aus eigener Produktion.

Und Echinacea? Naturarzt Roland Vontobel, der wie einst Vogel in Teufen praktiziert, Nachfolger von Alfred Sigrist, ist überzeugt, dass auch in der Schweiz heimische Pflanzen ähnlich wirksam seien, Lindenblüten, Holunderblüten, Bibernelle etwa. An Alfred Vogel, den er 1978 als Vortragsredner in einer Turnhalle in Amriswil erlebte, erinnert er sich dankbar. Vogel, damals 76 Jahre alt, sei im vollbesetzten Saal mit federnden Schritten durch den Mittelgang nach vorn geeilt. Er habe mit einem Sprung die Bühne erklommen und dann mit gut verständlicher Stimme gesprochen. Alle im Saal hätten den Worten des berühmten Mannes gebannt gelauscht – auch er, der Drogistenlehrling.

Noch fehlt eine kritische Biografie über sein spannendes Lebens. Zu Beginn musste er mit Niederlagen fertig werden, erlitt als Reformhausbesitzer in Basel einen Konkurs, wie man in Drogistenkreisen wusste.

Echinacea war für ihn und sein Unternehmen die bedeutendste Heilpflanze. Allerdings war er nicht der erste, der auf ihre Heilkraft setzte. Schon ab 1938 hatte die vom deutschen Arzt Gerhard Madaus (1890-1942) und seinen beiden Brüdern Friedmund und Hans gegründete Madaus GmbH das Echinacin als Vorbeugungsmittel gegen Erkältungskrankheiten produziert.

Echinacea ist bis heute umstritten. Es gibt Studien, die jede Wirksamkeit gegen Infektionen negieren; andere, die ihre Heilkraft belegen. Nehme ich selber bei der nächsten Grippewelle Echinacea? Ich weiss es noch nicht. Zuerst kommt der Sommer. Ein Ausflug in den frei zugänglichen Vogel‘schen Kräutergarten oberhalb Teufen lohnt sich auf jeden Fall.

Hanspeter Spörri, 1953, ist freier Journalist und Publizist in Teufen.

Dieser Beitrag erschien im Sommerheft von Saiten.

 

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