, 5. Februar 2022
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Bührle Züri Ost – Teil 2

Ein rechtsextremer Berufsoffizier aus Herisau ebnete der Heerbrugger Wild AG den Weg ins Bührle’sche Zulieferernetzwerk. Die Oerlikon ihrerseits expandierte 1941 über den Rhein nach Liechtenstein. Einer störrischen Kuh gefiel das gar nicht. Zweiter Teil des Saiten-Bührle-Specials.

Emil Bührle testet in den 1920er-Jahren auf dem Bodensee ein Oerlikon-Geschütz an Bord eines Dornier-Superwals. (Bild: WO Werkmitteilungen, Mai 1945)

Eine wichtige Figur in Emil Bührles schweizerisch-deutschen Waffenschiebernetzwerks war der rechtsextreme Herisauer Emil Sonderegger. Der Spross eines Stickereiunternehmers tat sich während des Generalstreiks 1918 im Einsatz in Zürich als besonders rücksichtsloser Offizier hervor und erntete dafür im bürgerlichen Lager viel Lob. 1920 bis 1923 war er Generalstabschef und galt als wichtiges Bindeglied zwischen der Schweizer Armee und rechtsextremen Bürgerwehren.

Lustiger Schnauzer, weniger lustige Geisteshaltung: der Herisauer Emil Sonderegger (1868-1934), Mussolini-Bewunderer, Schweizer Armeechef 1920-1923, international hervorragend vernetzter Frontist und Waffenschieber.

In den späteren 1920er-Jahren fungierte er sowohl für die WO als auch für die SIG Neuhausen als Verkaufsvertreter mit Prokura. Sonderegger war in der Schweizer und in der Deutschen militaristischen Rechten ausgezeichnet vernetzt – und damit für Bührle eine wertvolle Integrationsfigur, wenngleich seine Verkaufszahlen für die WO weit hinter Bührles Erwartungen zurückblieben. Sonderegger starb 1934.

Ein Rüstungszentrum, das vor und während des Zweiten Weltkrieges von der deutschen Nachfrage profitierte, war Heerbrugg. 1921 gründeten Heinrich Wild, Jakob Schmidheiny und Robert Helbling die Wild Heerbrugg AG (heute: Leica). Wichtigster Kapitalgeber war der bekannte Industrielle Schmidheiny. Die Balgacher Unternehmerdynastie unterhielt etwa über ihre Eternit AG auch anderweitig enge Geschäftskontakte zu Deutschland. 1922 gab die schweizerische Landestopographie die Entwicklung von geodätischen Messinstrumenten in Auftrag. Auch die Kriegstechnische Abteilung der Schweizer Armee (KTA) bekundete bald Interesse an der Wild’schen Militäroptik.

Bührle wird wichtigster Schweizer Wild-Kunde

Emil Sonderegger war es unter anderem, der bei Wild anregte, man solle optische Richtgeräte für die Instrumentierung der automatischen Waffen Oerlikons und Neuhausens entwickeln. Wild-Investor Schmidheiny sass sowohl im Verwaltungsrat von SIG Neuhausen als auch der Wild AG. In beiden Verwaltungsräten waren jeweils auch Offiziere und Politiker vertreten, die gegebenenfalls in Bundesbern intervenierten, um den Absatz zu fördern.

In der Februarausgabe ist Saiten den Spuren des Waffenhändlers Emil G. Bührle in der Ostschweiz und im Fürstentum Liechtenstein nachgegangen. Online erscheint das Saiten-Bührle-Special in drei Teilen. Teil 3 folgt am Sonntag.

Ab 1935 wurde Bührles WO hinter Bundesbern zum zweitgrössten Wild-Kunden im Inland. Allerdings produzierte sie zu 80 Prozent für den Export. Grosse Aufträge kamen etwa aus der Tschechoslowakei, Polen, der Türkei und der Sowjetunion, später teils auch aus Deutschland, Rumänien, Italien und China. In der Türkei war es allerdings Bührle-Freund Waldemar von Vethacke, der dafür sorgte, dass die dortigen Oerlikon-Geschütze mit Zeiss-Optik aus Jena, der ärgsten Konkurrentin der Heerbrugger Firma, bestückt wurden.

Jacob Schmidheiny II (1875-1955) aus der Heerbrugger Unternehmerdynastie, Hauptgeldgeber der Wild AG.

Die Abnehmerländer der Wild-Optik waren ansonsten in aller Regel dieselben, in welche die WO ihre Geschütze lieferten. In Bulgarien vertrat etwa Dimiter Alexiew sowohl die WO als auch die Wild AG. Bührles Bestellungen von Kreiskornvisieren nahmen beständig zu. In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre gelangte die Wild AG so aus der Krise in die Blüte und konnte aus eigener finanzieller Kraft in Heerbrugg und Rebstein neue Fabrikationshallen errichten. Der Aussenposten im vorarlbergischen Lustenau wurde allerdings bald zur Hypothek, weil durch die Frankenaufwertung 1936 und den Anschluss Österreichs 1938 sämtliche Währungsvorteile dahin waren. 1939 verkaufte Wild die Fabrik in Lustenau. Als die französischen Besatzungskräfte nach dem Krieg abgezogen waren, kehrte Wild nach Lustenau zurück und richtete erneut eine Zweigniederlassung ein.

Wild machte während des Krieges gutes Geld: Von den 66 Millionen Franken an Verkaufserlösen entfielen 55 Millionen auf Militärinstrumente wie Kreiskornvisiere, Telemeter, Goniometer, Theodolite und Auswertungsgeräte. Bester Kunde während des Krieges war Deutschland: 20 Prozent der Wild-Optik gingen in dieser Zeit für rund 13,2 Millionen Franken ans Dritte Reich, die Lieferungen über 7 bis 9 Millionen Franken, die über die WO indirekt an Deutschland gingen, nicht eingerechnet.

Aufgrund der Zahlen in den Quellen ist davon auszugehen, dass die Wild AG, ebenso wie die WO, auch Material an Deutschland lieferten, ohne dafür entsprechende Ausfuhrbewilligungen bei der KTA zu beantragen. Von der «ausgesprochenen Kriegskonjunktur», wie ein eidgenössischer Steuerberater im Dezember 1945 konstatierte, profitierte die Wild-Belegschaft aber kaum. Das Lohnniveau blieb während der gesamten Kriegszeit deutlich tiefer als ennet dem Rhein in Vorarlberg. Immerhin hätten die von der Firma «an Ausländer bezahlten Provisionen und Schmiergelder keine abnormale Höhe» erreicht, notierte der Steuerverwalter weiter.

Bührle spart Steuern in Liechtenstein

Ab 1940 gewährte die Schweiz dem Dritten Reich Vorschüsse, sogenannte Clearingkredite, über fast eine Milliarde Franken, worauf Schweizer Firmen grosse Mengen an Rüstungs- und anderen Industriegütern nach Deutschland liefern konnten. Davon profitierte in erster Linie Bührle. Kurz darauf führte der Bundesrat eine Kriegsgewinnsteuer ein, um die Gewinne abzuschöpfen. Um diese Steuern zu umgehen, schalteten viele Firmen Sitzgesellschaften im Ausland zwischen oder verlegten gar Teile ihrer Produktion dorthin. So gelang es auch der WO mittels einer liechtensteinischen Niederlassung, Teile ihrer Gewinne an den schweizerischen Steuer- und deutschen Devisen-Behörden vorbeizuschleusen und in Liechtenstein in Sicherheit zu bringen.

Bührles Schlüsselfigur hierbei war der deutsche Industrielle und Geheimdienstagent Rudolf Ruscheweyh, der nach der Besetzung Frankreichs von Amsterdam nach Paris übersiedelte und dort Wirtschaftsberater des deutschen Heereswaffenamtes wurde. Auch Kunstdeals fädelte er dort ein.

Rudolf Ruscheweyh (1904-1954): zwielichtiger Waffen- und Kunsthändler, Spion in deutschen Diensten, bis ca. 1945 enger Bührle-Vertrauter, später Parteispender von CDU/CSU und Hauptaufrüster der neu errichteten Bundeswehr.

Über eine Amsterdamer Firma belieferte er ab 1935 die WO mit kugelsicheren Reifen. Ab 1940 vertrat Ruscheweyh, der über hervorragende Kontakte zum Oberkommando der Wehrmacht verfügte, die Interessen der WO im Dritten Reich. Er vermittelte während des Krieges sämtliche Waffen- und Munitionslieferungen von Bührle an Deutschland im Wert von über 400 Millionen Franken. Selber kassierte er dabei Provisionen in der Höhe zwischen 11 und 13 Millionen Franken, die er mehrheitlich in Liechtenstein anlegte. Ab 1941 vermittelte Ruscheweyh ausserdem Bührle-Waffenverkäufe an die Sowjetunion und organisierte die Rückholung eingefrorener Guthaben in den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Rumänien.

Stolz hielt Ruscheweyh nach dem Krieg in einem Memorandum fest, er habe Bührle «die Orders und das Geld» gebracht. Im Gegensatz zu Bührle habe er nie mit den Alliierten zusammengearbeitet, obschon Möglichkeiten dazu bestanden hätten. Trotz seiner schweren Arthritis habe er Militärdienst geleistet und «bis zuletzt seine Pflicht fürs Vaterland» getan. Ein wahrer Patriot also, nicht wie Bührle, der sich eine geschäftliche Gelegenheit – egal mit wem – nie entgehen liess.

Munitionstests in Eschen stören das Vieh

1943 erhielt Ruscheweyh als «Wirtschaftsberater der liechtensteinischen Regierung» einen Diplomatenpass. In Schaan liess sich der Gichtkranke eine grosse Villa bauen und reiste, stets von einer Krankenschwester begleitet, für seine zahlreichen Geschäfte in einem komfortablen Cadillac zwischen Paris, Brüssel, Amsterdam, der Schweiz und Liechtenstein hin und her. Das Fürstentum hatte grosses Interesse an der Unversehrtheit dieser zwielichtigen Figur: Ruscheweyh hatte versprochen, hier Industrie anzusiedeln. Ausserdem gewährte er der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) in den Kriegsjahren grosse Kredite – ebenso wie Bührle.

Eine ungesunde Strategie für eine Bank, die notorisch unter Liquiditätsengpässen litt und sich so extrem vom Goodwill ihrer beiden Hauptanleger abhängig machte und ihre Bilanzen aufs Jahresende hin immer wieder künstlich gegen unten korrigierend «gesunden» liess.

Im Herbst 1941 beauftragten Bührle und Ruscheweyh Treuhänder und andere Mittelsmänner mit der Gründung des Press- und Stanzwerks Eschen (Presta). Die Presta produzierte Patronenhülsen für die Oerlikoner Fliegerabwehrkanonen, sie lieferte ausschliesslich in die Schweiz, Endabnehmerin war aber stets die Wehrmacht. Sie stellte damit im Wesentlichen die «verlängerte Werkbank» der WO in Liechtenstein dar, wie Historiker Peter Hug es formulierte.

Das Munitionsgeschäft sei noch lukrativer als jenes mit den Kanonen, hatte Bührle 1942 gegenüber einer Wehrmachts-Delegation in Oerlikon erklärt. Und Liechtenstein bot dabei zwei besondere Standortvorteile: keine Kriegsgewinnsteuer und tiefes Lohnniveau.

Ob die Presta damals tatsächlich im Besitz Bührles war, ist nicht belegt. Sicher ist, dass die 100‘000 Franken Stammkapital bei der Gründung, vermittelt über einen Zürcher Treuhänder aus Bührles Umfeld, ausschliesslich aus der Schweiz kamen und dass der Betrieb zum Interessenkomplex Bührles gehörte. 1956 wechselte die Presta dann auch formell in den Besitz der WO.

Im Januar 1943 wurde auf dem Presta-Gelände zur Qualitätskontrolle ein Schiessstand eingerichtet, auf dem täglich 500 Schuss abgefeuert wurden. Unter den ansässigen Pferdehaltern, die ansonsten vom Kriegslärm verschont blieben, rief dies einigen Unmut hervor, wie Dokumente im Liechtensteiner Landesarchiv zeigen. In einer Eingabe an die Regierung beklagten sie mehrere Unfälle aufgrund aufgescheuchter Zugtiere, einer sogar mit tödlichem Ausgang. Der Presta sei nichts dergleichen bekannt, man möge ihr doch solche Vorfälle künftig melden, antwortete diese der Regierung. Und weiter: «Soweit uns bekannt ist, hatte der Verstorbene 1. eine störrische Kuh am Wagen gehabt und 2. ist er dann später an einer Lungenentzündung gestorben». Der Tod des Fuhrhalters sei daher nicht der Presta anzulasten.

 

Erster Teil des Saiten-Bührle-Specials: Wie der Kanonenproduzent in die Schweiz kam, im Thurgau zur Jagd ging und am Bodensee den Deutschen mithalf, die Versailler Verträge zu umgehen.

Zweiter Teil des Saiten-Bührle-Specials: Wie der Waffenhändler seine Kontakte in der Ostschweiz – insbesondere im Rheintal – nutzt und 1941 in Liechtenstein seine «verlängerte Werbank» einrichtet.

Dritter Teil des Saiten-Bührle-Specials: Wie sich Fürst Franz Josef II. über Bührles Patronenlieferungen an die Wehrmacht freut und wie der Waffenfabrikant eine Zwangsarbeitsfabrik im Toggenburg kauft.

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